Gutes Karma

Der Sonntag machte seinem Namen alle Ehre, und so saß ich nachmittags mit Adelheid im Garten unter dem rot verblichenen Sonnenschirm, wobei wir äußerlich immer nässer und innerlich immer trockener wurden. „Lass uns zum Bertolini fahren, gönnen wir uns ein Eis“, schlug meine Liebste nach einer Stunde des Darbens in der ungewöhnlichen Spätsommerhitze vor. Das musste sie mir nicht zwei Mal sagen.

Bertolini ist das angesagteste Eiscafé im Bezirk, das Angebot der frostigen Köstlichkeiten reicht von Gurken-Minze über Weichsel-Vanille bis zu Schlumpfeis und entsprechend groß ist der Andrang an heißen Tagen. Man kann davon ausgehen, dass die Terrasse durchgehend bis zum letzten Platz belegt ist, und im Umkreis von 500 Metern kein Parkplatz zu finden ist. Ich kann mit Esoterik, Feng Shui, Numerologie und Horoskopen durchaus nichts anfangen, allerdings bildet Heidi hier die vielgerühmte Ausnahme. Sie ist nämlich im Besitz übernatürlicher Kräfte. Egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit, egal ob in der Innenstadt oder im Parkhaus eines Einkaufstempels, das Adelheidchen hat so etwas wie einen persönlichen Schutzpatron, der ihr stets den besten Parkplatz,  meist sogar in Rufweite des Zieles gelegen, zuweist.

Es nimmt also nicht Wunder, dass bei unserer Ankunft ein BMW mit schwarz getönten Scheiben den Blinker setze und Parkplatz mit Fahrbahn tauschte. Heidi reagierte sofort und fädelte unseren tomatenroten Spanier in die freigewordene Lücke, keine drei Meter neben dem Eingang von Bertolini. Wir stiegen aus und sie zwinkerte mir siegesgewohnt zu. Wir enterten die überfüllte, sonnenbeschirmte Terrasse und hielten Ausschau nach einem freien Plätzchen. Während ich unruhig, mit hängender Zunge und bettelndem Blick die Reihen abgraste, blieb Heidi ruhig, unauffällig und zentral stehen. Nachdem ich zwei Mal die Runde vergeblich durchgehechelt hatte, packte sie mich blitzschnell am Arm und zwei Sekunden später saßen wir an einem Tisch, den eine junge Familie mit Baby-Schreihals eben verließ. Es war übrigens Tisch 24, mit bester Aussicht auf den Springbrunnen in der Fußgängerzone.

Ich schickte Heidi einen aufrichtig bewundernden Blick. „Karma, mein lieber Moser“, lächelte sie, „Karma.“ Ich habe mir vorgenommen, morgen mein glanzvollstes Gehaltserhöhungskarma auszustrahlen, wenn mir Direktor Pfotenhauer über den Weg läuft.

5 Kommentare zu „Gutes Karma“

  1. Ach Karma ist das! Dann weiss ich jetzt Bescheid und werde noch dankbarer sein, wenn es mir, wie so oft der Frau Adelheid, geschieht …
    aber dass ich jetzt sooo eine Lust auf einen Eisbecher habe, finde ich gar nicht so toll, da müsste ich mich ja auf den Weg machen … und allein? Och lieber nicht!
    herzliche Sonntagsgrüsse
    Ulli

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