Ein echter Wiener…

Als ich zuletzt unter dem Titel „Jugendsünden“ berichtete, wie ich aus kindlicher Naivität und reinem Eigennutz versuchte, die Ehebande meiner Eltern zu sprengen, um als Scheidungskind in den Genuss von mehr Aufmerksamkeit, Liebe und zusätzlichen Geschenken zu gelangen, wurde dies amüsiert, zum Teil aber auch kritisch zur Kenntnis genommen. „Kriminelle Energie“ wurde mir vorgehalten, auf facebook titulierte mich eine Dame als „echtes Früchtchen“ und sogar Heidi, die besagte Geschichte ja bereits aus meinen Erzählungen kannte, verstieg sich anlässlich der Öffentlichmachung zu einem verächtlichen „Moser, du warst a Krätzn!“.

Nun bin ich mir ziemlich sicher, dass ein Großteil der Leserschaft mit der dem Wienerischen entsprungenen Beleidigung „Krätzn“ nichts anzufangen weiß. Als Verfechter lokaler Dialekte und selbst ernannter Botschafter des Idioms meiner Geburts- und Heimatstadt werde ich Ihnen heute dazu ein paar Begriffe ins Lehrbuch schreiben. Die „Krätze“ leitet sich vom Wort kratzen ab und beschreibt das juckende Leitsymptom der Hautkrankheit Krätzmilbe, auf deren ungustiöse Entstehung ich gar nicht näher eingehen will. Des Weiteren bezeichnet eine Krätze auch eine verschorfte Blutkruste. In meiner Kindheit, als ich mich noch auf einem Fahrrad an der frischen Luft bewegte, trug ich diese „Krätzen“ nach zahlreichen Stürzen auf Kieswegen stolz wie Tapferkeitsmedaillen an Knien und Ellbogen. Und wenn man im Wienerischen jemanden eine Krätzn heißt, meint man damit einen Widerling, einen unangenehmen, gemeinen Menschen. Soviel dazu.

Ein anderes Schimpfwort, das inzwischen aber selbst unter der Ur-Bevölkerung Wiens kaum noch Bekanntheit genießt, ist der Flohbeidl (Flohbeutel). Wenn ich meinem kleinen Bruder Bertl ein Stückerl Leberkas vom Teller stibitzte, schimpfte meine Großmutter selig, die alte Moser: „Gehst weg mit die Krabbler, du Flohbeidl??“ („Nimm deine Finger weg, du Schmarotzer!“). Im 18. Jahrhundert, das punkto Hygiene und Körperpflege wahrlich kein Vorbild war, trugen die feinen Damen unter ihren bauschigen Röcken nämlich kleine Beutel, die mit allerlei Kräutern und Lockstoffen befüllt waren, um Flöhe anzulocken und ihrer Trägerin derart ein wenig Erleichterung zu verschaffen, indem sie die zwickenden und juckenden Parasiten von ungünstigen Körperstellen fernhielten. Und alsbald wurde der Flohbeidl im Wiener Volk zum Synonym eines schmarotzenden, tückischen Menschen oder kleines Ganoven.

Nach diesen, wie ich hoffe lehrreichen Ausführungen „hau i mi über die Heisa“ (werfe ich mich über die Häuser). Dieser urwienerische Ausdruck für schnelles Verschwinden stammt vermutlich aus der Gaunersprache. Im Mittelalter war es ein Ratschlag unter Einbrechern, bei Gefahr in Verzug die Flucht über die Dächer (Häuser) anzutreten. Wie sich dies in der heutigen Praxis anhört, zeigt ein kleiner Ausschnitt aus der österreichischen 70er-Jahre-Kultserie „Ein echter Wiener geht nicht unter“ (etwa bei Minute 00:57). Viel Vergnügen!

20 Kommentare zu „Ein echter Wiener…“

  1. Na, da habe ich wieder etwas gelernt, vielen Dank!

    Meine einzigen Kenntnisse des Wiener Idioms begründen sich auf der Rubrik „Wienerisch für Nicht-Wiener. Mit Andy Herzog“, welche sich vor etwa 20 Jahren auf einer CD meines damals wie heute favorisierten Fußballvereins befand.

    Daher weiß ich zumindest mal, was eine „Wuchtl“ ist. Oder ein „Edelroller“. 🙂

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  2. Lieber Herr Moser!

    Bei „üba die Heisa haun“ stelle ich mir nun einen Riesen namens Moser aus dem Märchen vor, der mit seinen großen langen Beinen mit einem Schritt über alle Hausdächer schreitet. Ich bin mir sicher, dass der gefürchtete Glatteismann den Ausdruck auch kennt. Vielleicht ist er inzwischen in Wien angekommen, die olde Krätzn 🙂

    Herzliche Grüße
    Mallybeau

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  3. Hat uns die grosse Politik nicht kürzlich gezeigt, dass dies alles alternative Fakten sind. Wie auch immer der Schlawiner sich beim Namen nennt, amüsant ist es allemal zu lesen.

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  4. Lehrreicher Beitrag!

    Am 2.Februar scheiterte ich an der Komplettlösung des täglichen Kreuzworträtsels in der SZ, es verblieb eine kaum zu ertragende Lücke, der Suchbegriff lautete:österr. Aubergine,bestehend aus neun Buchstaben, vermutlich mit M beginnend und mit I endend.Für einen seriösen Lösungsvorschlag bin ich dankbar!

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