Nullsummenspiel

Bekanntlich unterziehen die Mosers ihre vom Winter verweichlichten Körper derzeit einer kohlenhydratarmen, gemüselastigen Diät. Mens sana in corpore sano, ein gesunder Geist in einem gesunden Körper, so lautet die Devise. Abnehmen, entschlacken, entgiften. Dies sollte mit Beginn der warmen Jahreszeit durch vermehrte physische Betätigung an der frischen Luft unterstützt werden. So haben wir es auf der Liste der Vorsätze 2017 festgeschrieben. Da mir Joggen zu anstrengend ist, konnte ich Heidi auf Nordic Walking herunterhandeln.  Gehen mit Stockeinsatz scheint meiner körperlichen Verfassung angemessen. Der Goldregen in unserem Vorgarten zeigt erste gelbe Blüten, was für meine liebe Adelheid am vergangenen Wochenende ein ausreichender Grund war, das Sportgerät aus dem Keller zu holen und mir mit den aufmunternden Worten „Auf geht´s!“ in die Hand zu drücken. Ich deutete mit sorgenvoller Miene auf die am Horizont dräuende schwarze Wolkenbank. „Keine Ausreden! Wir sind ja nicht aus Zucker“, stellte Heidi klar. Sie hatte uns nicht nur die besten nordischen Gehstöcke besorgt, die derzeit am Markt erhältlich sind, sondern auch Sportklamotten mit feuchtigkeitsregulierender, atmungsaktiver Drifit-Technologie, die Shirts mit Mesh-Einsatz am Rücken und an den Seiten für noch bessere Belüftung und reflektierenden Raglanärmeln. Um 11:17 starteten wir mit sündteurem Profi-Equipment unsere Sportlerkarriere. Wenn wir uns etwas vornehmen, ziehen wir es auch durch. Komme, was wolle.

Laut meinem Pedometer hatten wir bereits 1,8 Kilometer (!!) zügigen Schrittes zurückgelegt, als um 11:39 ein Wolkenbruch niederging, der seinesgleichen sucht. Binnen Sekunden waren wir von herabstürzenden Wassermassen umschlossen, sodass man kaum die Hand vor Augen sehen konnte. „Dort!“ schrie ich Heidi durch das tosende Regengeprassel zu und zeigte auf ein Heurigenlokal, das auf der anderen Straßenseite mit beleuchteten Fenstern signalisierte, dass durchnässte Gäste willkommen sind.

Kurz darauf saßen wir in der heimeligen Atmosphäre des Heurigen „Buschmandl“. Für Ortsunkundige sei erwähnt, dass der österreichische Heurige ein Lokal bezeichnet, in dem vorwiegend Wein ausgeschenkt wird. Begleitend dazu werden kalte und warme Spezialitäten der hiesigen Hausmannskost gereicht. Wir hatten es uns auf einer knarrenden Holzbank gemütlich gemacht, die Walkingstöcke im Schirmständer deponiert, und trockneten uns mit Papiertaschentüchern notdürftig Gesicht und Hände. Das Mittagsgeschäft war gerade am Anlaufen, in der Glasvitrine des Buschmandl-Buffets dampften knusprige Schweinsbraten, Stelzen, Grillhendln, Fleischlaberln (Bulleten, Frikadellen) und Blutwürste. In der gekühlten Theke lockten feinste Aufstriche, Speck, Würste, Käse und hartgekochte Eiern zum Verzehr. Frisches Brot und Gebäck war in kleinen Strohkörbchen appetitlich angerichtet.

Heidi und ich starrten wie hypnotisiert auf die dargebotenen Köstlichkeiten. Wahrscheinlich war es ein Fehler, unseren Nordic-Walking-Marathon vor dem Mittagessen in Angriff zu nehmen. Als die rustikal beschürzte Kellnerin an unseren Tisch kam, bestellten wir zwei Gläser süffigen Gumpoldskirchner. Dann schnappten wir uns in stiller Übereinkunft jeder ein Tablett und beluden es bis zur Belastungsgrenze. Zu Hause wartete zwar ein leckerer Gemüseauflauf mit Blumenkohl und grünem Spargel, aber mein Gott! Wer weiß schließlich, wann diese Sintflut ein Ende hat. Sie hatte um 12:40 ein Ende und wir schleppten uns voll bis zum Anschlag durch Regenpfützen, gestützt auf unsere Sportstöcke, 1,8 km nach Hause. Dort schälten wir uns aus unserem Profi-Equipment und fielen auf der Couch in einen tiefen Verdauungsschlaf.

Seit Beginn unserer Diät habe ich übrigens kein Gramm zugenommen. Da sieht man, was ein bisschen guter Wille und regelmäßiger Sport ausmachen.

26 Kommentare zu „Nullsummenspiel“

  1. Ich kann nicht mehr vor Lachen! Mein Kopfkino ist immer sehr aktiv bei Deinen Beiträgen, lieber Moser!

    Aber mal kurz am Rande: Walken sieht leicht aus, macht man dies aber eine Stunde am Stück (ohne Pausen, ohne Restaurant – selbstredend auch ohne Wassermassen …), dann ist das ein gute Stück Sport!

    Na gut, bloss nicht zu viel Ernst hier – sonst komme ich noch vom Lachen ab … 🙂 :-). Herrliche Proskomödie wieder hier ….

    Beste Grüße

    Sylvia

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  2. Lieber Herr Moser!

    Diese Art der sportlichen Betätigung halte ich für absolut fantastisch. Zunächst an Stöcken gehen, sich anschließend die Bäuche vom anstrengenden Walking vollschlagen und dann auf dem Nachhauseweg einen Duschvorgang über sich ergehen lassen. Kurz: Sportlich betätigt, gut gegessen und gleich noch geduscht. Ein effektiver Tag 🙂 Glückwunsch!

    Herzliche Grüße
    Mallybeau

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  3. Ach ich könnte das noch steigern, wir haben mit der Nordic Walking im dicksten Unwetter Picknick unter der Brücke gehalten. Unsere Trainerin hat die dunklen Wolken, vorher mit den Worten weggeredet, mit das hält,Naja.
    Aber der Wille zum Sport war schon mal, und wer könnte beim Heurigen vorbeigehen.

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  4. Herrlich. Da hat Petrus Erbarmen gehabt…
    Dein zweitletzter Satz hat mich laut zum Lachen gebracht 🙂
    Ich musste an den spruch denken:
    Vor zwei Wochen habe ich mir vorgenommen, 10 Kilos abzunehmen. Jetzt fehlen nur noch 12….
    Sei herzlich gegrüsst.
    Priska

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  5. Ha, die Heidi ist in der Beziehung wie ich: wenn wir uns zu einer Sportart entschlossen haben, dann muss auch das Beste vom Besten in Sachen Ausrüstung her, das muss professionell aufgezogen werden. Was war ich enttäuscht, als ich keinen Arena-Badeanzug in meiner Größe fand! Wenigstens die Schwimmbrille passte. 😉
    Tja, Herr Moser, da spielte Ihnen das Wetter wieder wunderbar in die Karten. Und gewarnt haben Sie auch noch rechtzeitig. Es läuft bei Ihnen. 🙂 So ein köstliches Mahl! Hoffe, Sie beide haben sich in dem Sauwetter nicht erkältet?

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