Lady Mondegreen

Wie der aufmerksame Leser weiß, ist meine brave Adelheid ein höchst umtriebiges Persönchen. Selbst wenn das Tagwerk getan, alle Nudeln gekocht und der Staub von den Blättern des Benjaminus Ficus gewischt ist, sucht sie nach Beschäftigung. Stillsitzen gehört nicht zu ihrem Repertoire. Während Herr Moser als Anhänger des modernen Chillens gilt und seinen Bürohintern gerne auf die Couch bettet, um ein gepflegtes Nickerchen zu absolvieren oder ein Rätselheft zu studieren, widmet sich Heidi einer Aufgabe. Irgendeiner Aufgabe, denn Sinn oder Unsinn stehen gar nicht zur Debatte.

Vor ein paar Tagen war ich, gemütlich eingeringelt, in Michael Köhlmeiers mythologisch-philosophische Verführungen („Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist, Adam?“) vertieft, als die bessere Moser-Hälfte unseren Plattenschrank ausräumte und begann, die in Vynil gepressten Jugenderinnerungen am Laminat des Wohnzimmers auszubreiten. Zärtlich hätschelte sie das eine oder andere Album, und erzählte mit belegter Stimme von Begebenheiten aus der Zeit, die sie mit der jeweiligen Musik verband. Heidi berichtete von ersten scheuen Küssen, von Konzertbesuchen und alkoholgeschwängerten Parties, und bekam feuchte Augen. Schließlich reichten die Erinnerungen nicht mehr und sie schmiss unseren alten Analog-Plattenspieler Marke Dual an, und versuchte sich als D-Jane. Schließlich landete der von ihr sehr verehrte britische Pop-Sir Paul McCartney auf dem Plattenteller. Da an konzentrierte Lektüre ohnehin nicht mehr zu denken war, stimmte ich lauthals in Adelheids Gesangsversuche ein und sang zur Textzeile „Hope of Deliverance“ inbrünstig „Hau auf die Leberwurst!“, weil ich es genau so verstand. Meine Frau fragte mich, ob ich derisch (Wienerisch für schwerhörig) sei, doch ich beharrte darauf, dass der Beatles-Pauli über Leberwurst sang. Überzeugen Sie sich selbst und Achtung auf den Refrain: Hau auf die Leberwurst!

Dann gestand Frau Moser, selbst schon Opfer einer solchen Sinnestäuschung geworden zu sein. Jahrelang hatte sie zum Snap-Hit „I´ve got the power!“ ihre Version „Agathe Bauer!“ geträllert. Und die Wendung „den Schritt zu wagen“ in der Roland-Kaiser-Schnulze „Santa Maria“ hatte sie unwissend zu „Schnitzelwagen“ umgetextet. Solche Hörunfälle, liebe Leute, nennt der Fachmann Mondegreen. Der Ausdruck geht zurück auf die Autorin Sylvia Wright. Im November 1954 hatte sie in einem Essay für die Zeitschrift „Harper’s Bazaar“ beschrieben, wie sie sich als Kind bei der schottischen Ballade „The Bonny Earl Of Murray“ immer verhört hatte. Einer der Verse endet mit „They ha’e slain the Earl O’Murray / And laid him on the green“ („Sie hatten den Earl of Murray erschlagen / Und legten ihn aufs Gras“). Wright hatte jedoch in der zweiten Zeile stets „… and Lady Mondegreen“ verstanden. Jahrelang war sie ganz gerührt gewesen vom tödlichen Schicksal des vermeintlichen Paares – bis sie eines Tages den Originaltext entdeckte. Daraufhin verfasste sie den Artikel, und der Begriff „Mondegreen“ fand seinen Weg in die Fachbücher. Nachdem wir noch ein Weilchen über Bob Dylans Ameisenfreunde („The ants are my friends, they´re blowin in the wind“) und den Dickschädel Blues („A deep shade of blue“) gescherzt hatten, zog ich mich ins Schlafzimmer zurück, um mein wohlverdientes Nachmittagsschläfchen nachzuholen.

Kurz vor Sonnenuntergang weckte mich Frau Moser mit den vorwurfsvollen Worten: „Warum hast du den Rasen nicht gemäht?“ Verdattert antwortete ich: „Wie kommst du darauf?“ „Bist du wirklich derisch? Ich hab vor zwei Stunden gesagt, du kannst jetzt Rasen mähen!“ empörte sich Heidi.

„Oh pardon, ich hab verstanden: Du kannst jetzt schlafen gehen! Das war wohl ein klassischer Mondegreen.“

19 Kommentare zu „Lady Mondegreen“

  1. Lieber Herr Moser!
    Also auf den Gedanken „hau auf die Leberwurst“zu hören bin ich auch noch nicht gekommen. Ich schätze Sir Paul ebenfalls sehr und liebe seine Lieder. Allerdings ist mir ein derartiger Hörfehler bei seinen Werken noch nicht passiert. Ich habe einst wenn Elvis die Zeile „I`m all shook up“ sang, die Wortkreation „Amoschokop“ verstanden. Aber das ist natürlich harmlos im Vergleich zu dem fantastischen Agathe-Bauer-Mondegreen. Hervorragend!
    Jetzt habe ich gerade verstanden, dass ich zu mir selbst gesagt habe, dass ich eine Tafel Schokolade essen soll. Diesem Befehl werde ich natürlich umgehend Folge leisten 🙂
    Herzliche Grüße…auch an Frau Bauer
    Mallybeau

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      1. 🙂 Danke sehr. Genau diese Assoziation hatte ich damals auch immer.
        … und Agathe Bauer geht mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. einfach großartig 🙂

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  2. da gibts doch ein buch, mit dem wumbawa oder so ähnlich. 🙂
    ich möchte übrigens keine leberwurst hören, sonst verfolgt sie
    mich jedes mal beim hören, deshalb habe ich den test nicht
    durchgeführt. (in dem fall kenne ich die worte und höre sie auch
    so 🙂 ). viel spaß beim rasenmähen. 🙂

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  3. Großartig, „Der weiße Neger Wumumba“! Wobei ich mich immer frage, wie man bei Roland Kaiser „Schnitzelwagen“ hören kann. Bei dem versteht man doch wirklich jedes Wort – vor allem die, die er gar nicht singt, zwischen den Zeilen also, oder mehr oder weniger direkt umschreibt („… hielt ich ihre Jugend in den Händen …“ – Ey, Du alter Sack!). Stopp, ich nehm’s zurück: was Frauen verstehen, muss nicht für Männer gelten. Die verstehen vielleicht Helene Fischer besser. 😉
    Ganz schlimm finde ich die Verhörer bei Herbert Grönemeyer, der sich seit ein paar Jahren eigentlich Grölemeyer nennen müsste. Den schätzte ich in den 80ern sehr, trotz seiner Nuschelei, die jedes Mal Rätselraten aufgab, wenn man ihn hörte. Und im Lied „Vollmond“ erhielt man dann eine Erklärung: „Du bist voll, ich bin es auch …“ Ja, zu viel Alkohol führt zum temporären Verlust der Muttersprache.

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