Spinnereien

Bei wolkig bis windigem Wetter saßen wir heute Nachmittag mit Heidis Schwester Babsi und ihrem Sohn Luki auf der Terrasse, um die Fahrt Christi in den Himmel mit Milchschaum-Kaffee und selbstgebackenem Blechkuchen mit Zitronenglasur gebührend zu feiern. Als Wunder des Tages begriff ich aber nicht den Aufstieg von Gottes Sohn ins Himmelreich, sondern die Tatsache, dass der 13-jährige Luki sein ansonsten allgegenwärtiges, allerheiligstes Smartphone abgelegt hatte. Stattdessen balancierte er einen merkwürdigen Gegenstand in der Rechten, der aussah wie ein bunter Plastikpropeller, und den coolen Namen Fidget Spinner trägt.

Luki vollführte damit aus dem Handgelenk die abenteuerlichsten Figuren, balancierte den Kreisel 2.0 auf den Fingerspitzen und erzeugte durch geschickte Drehungen und Wendungen eindrucksvolle Lichteffekte. Ich ließ mir von Heidis Neffen erklären, dass der Fidget Spinner derzeit das angesagteste Toy in Wiens Klassenzimmern ist und jeder, wirklich jeder, bei diesem seltsamen Trend mitmacht. Obwohl ich etwas so Sinnloses seit der Markteinführung der Schokoladenpizza von Dr. Oetker nicht mehr gesehen habe, liegt es mir fern, mich über den Spinner lustig zu machen. Noch heute denke ich schmerzvoll an die Hartplastikkugeln „Klick-Klack“, mit denen wir uns Anfang der 70er Jahre begeistert die Handgelenke zertrümmerten. Und auch die Luki-Mama ist heilfroh, dass dieses geheimnisvolle, pickelige Mischwesen aus trotzigem Buben und coolem Jungmann eine Ablenkung gefunden hat, die ihn das Smartphone zumindest stundenweise vergessen lässt. Das englische „Fidget“ steht für Unruhe oder Zappelphilipp, „to spin“ für wirbeln oder kreisen. Und will man der Herstellerpropaganda und ersten mütterlichen Erfahrungsberichten Glauben schenken, hat das Spielzeug auch einen therapeutischen, beruhigenden Nutzen bei verhaltensauffälligen ADHS-Kindern. Die Beschäftigung mit dem Spinner beruhigt sie. Nun ist Luki nicht verhaltensauffälliger als andere 13-Jährige, ihn aber bei einer Beschäftigung mit einem Teil zu sehen, das keinen Strom braucht, hatte schon auf uns Erwachsene eine beruhigende Wirkung.

In meiner Jugend beschäftigte ich mich ebenfalls intensiv mit Spinnen, denn mein Hero war Spiderman – ein Superheld, dessen Fähigkeit darin besteht, durch ein paar gezielte Bewegungen des Handgelenks eine weiße, klebrige Flüssigkeit zu verspritzen. Und als ich Luki bei seiner fingerfertigen Kreisel-Akrobatik beobachtete, dachte ich, dass dieser Fidget Spinner eigentlich ein wunderbares Trainingsgerät für heranwachsende Teenager sei. Ich klopfte Luki auf die Schulter und sagte: „Großes Kino! Weiter so, Luki! Du wirst mal ein exzellenter Spinner!“ Durch meinen aufmunternden Klaps verlor der Junge aber die Herrschaft über den Kreisel und dieser landete in der klebrig-weißen Zuckerglasur des Kuchens. Um die friedliche Feiertagsstimmung nicht zu stören, behielt ich meine Assoziationen für mich.

9 Kommentare zu „Spinnereien“

  1. „Pickeliges Mischwesen“ – sehr schön! Die Dinger sind übrigens auch schon bei Mitarbeitern der Deutschen Bahn angekommen, die bei ihrem gemütlichen Schlendern über den Bahnsteig bei Störungsfällen jetzt wenigstens dem nutzlosen Pendeln der Arme etwas gegenbieten können, das ihre Gelassenheit nochmals unterstreicht (inkl. Kaugummi im Mund). Voll lässig, digga!

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  2. Wenigstens etwas Bewegung! 😉 Die Dinger sollen angeblich die Konzentration fördern. Vielleicht lege ich mir auch so eins zu – für die öden Redaktionskoferenzen. Ich fürchte nur, dass ich im Anschluss meine Kollegen nerven muss, was in der Konferenz besprochen wurde – weil ich so konzentriert die Ding kreisen ließ.

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