Der General, Teil 2

(Der General)

Selbst auf die Gefahr hin, dass Sie mich für verrückt halten: Ich wurde im Jahr 2258 geboren. Und soviel kann ich Ihnen verraten – das Leben auf der Erde hat nicht mehr viel mit dem zu tun, wie ihr es hier, irgendwann Anfang der 2000er, kennt. Ich will Sie auch gar nicht mit Details langweilen, außerdem sind meine Geschichtskenntnisse nicht soooo prächtig. Das übliche halt, was über Generationen überliefert wird, was dir Eltern und Großeltern an einem heißen Winterabend erzählen. Jedenfalls begannen die Dinge ungefähr zu eurer Zeit aus dem Ruder zu laufen. Vielleicht 50 oder 100 Jahre später, nageln Sie mich bitte nicht fest. Die Welt war in der Hand einiger weniger Konzerne. Die Märkte für Lebensmittel, Energie, Elektronik, Banken und was die Menschheit noch so glaubte, zu brauchen, teilten sich ein paar Mega-Unternehmen. Undurchschaubare Firmen-Geflechte, Holdings, Joint Ventures. Die Kluft zwischen Arm und Reich wurde immer größer, und zwar in atemberaubendem Tempo. Anfangs versuchten die Politiker noch gegenzusteuern, doch ihre Förderprogramme und Finanzspritzen waren nicht mehr als kurzfristige Kosmetik. Längst hing man am Gängelband der mächtigen Wirtschaftsbosse und der Unmut im Volk wuchs. Irgendwann brachen dann die Revolutionen aus, die Ausgebeuteten stiegen auf die Barrikaden. Weltweit brannten die Städte, wurde Gewalt mit noch mehr Gewalt beantwortet, es regierten Hunger und Chaos.

Doch damit nicht genug: die Folgen des Klimawandels zogen ihre verheerende Spur über die Erde. Jahre der tödlichen Dürre mit Hitzewellen unvorstellbaren Ausmaßes wechselten mit nie gekannten Überflutungen, zerstörerischen Tornados und Hurrikans. Die Polkappen und Gletscher schmolzen dahin wie eine Kugel Vanilleeis in der Sommersonne. Und die Menschen waren machtlos, paralysiert, gefangen im täglichen Überlebenskampf.

Schließlich war unsere Zeit gekommen. Ach ja, habe ich schon erwähnt, dass ich eine Ratte bin?

(Lisa)

Zitternd hörte sie die schweren Schritte auf der Holztreppe näher kommen. Plötzlich ein dumpfer Knall und Gepolter, dem ein lallender Fluch folgte. Lisa wusste, was das zu bedeuten hatte. Ronny war besoffen. Und wenn er genügend getankt hatte, kam er meist in den Keller, um es der „Drecksau mal so richtig zu besorgen“.

Sie hatte ihn gar nicht gleich erkannt, als er vor ein paar Wochen (oder Monaten?) an ihrer Tür geklingelt hatte. Da stand ein etwas ungepflegter, dicklicher Mann mit aufgedunsenem Gesicht, unter seiner roten Baseball-Mütze quollen zu lange, fettige Haare hervor. „N´Abend, Lisa“ hatte er gegrinst und dabei eine Batterie gelblich-brauner Zähne freigelegt. Sie war instinktiv einen Schritt zurückgewichen, als sie seinen Bier-Atem roch. „Na, kennst mich wohl nich mehr?“ Sein Grinsen wurde noch breiter und er streckte ihr feixend seinen Kopf entgegen. Ein eiskalter Schauer überrollte ihren Körper.

„Ronny? Ronny Paulsen?“

„Bingooooooo!!!“ Sein Grinsen ging in lautes Lachen über.

Schon damals in der Schule war Ronny Paulsen der verspottete Außenseiter gewesen; ein unangenehmer Kerl, mit dem keiner was zu tun haben wollte. Schmuddelige Kleidung, Schweißgeruch, verschlagen, hinterhältig, verlogen. Und ausgerechnet dieser Typ hatte sich in sie, die hübsche blonde Lisa aus gutem Hause, verknallt. Im Unterricht steckte er ihr kleine Zettelchen zu auf denen Dinge wie „Treffn wir uns nach der Schule beim altn Brunen?“ oder „Du bist das schönste Medchen“ standen. Ständig trieb er sich in ihrer Nähe herum, lächelte und blinzelte ihr auf dem Pausenhof zu, als ob sie ein Liebespärchen wären. Meist ignorierte Lisa ihn, nur wenn er es mit seinen plumpen Annäherungsversuchen gar zu weit trieb, schnauzte sie ihn an: „Hau ab, Ronny! Lass mich einfach in Ruhe!“ Eines Nachmittags, auf dem Heimweg von der Schule, sprang er hinter einem Gebüsch hervor, stürzte sich auf sie und versuchte sie zu küssen. Dabei geiferte er wie ein notgeiler Straßenköter. Noch heute konnte sie den unangenehmen Zwiebelgeruch seines Atems riechen. Mit einer reflexartigen Bewegung hatte sie ausgeholt und ihm mit voller Wucht auf die Nase geboxt, und ihn wütend angeschrien: „Du Schwein!!!“ Seine Augen füllten sich mit Tränen, in seinem Blick lag Hass – abgrundtiefer, stahlgrauer Hass. Er hatte sich umgedreht und war schweigend davon getrabt. Das war das letzte Mal, dass sie Ronny gesehen hatte. Er kam zwei Wochen nicht zur Schule, dann machte das Gerücht die Runde, seine Eltern seien in eine andere Stadt gezogen. Langsam war die Erinnerung an dieses Ekel verblasst, doch nun stand er hier an ihrer Haustür und grölte wie ein Verrückter „Bingoooooo!!!“

Lisa wollte die Tür zuknallen, doch Ronny war schneller. Wie eine Qualle glitschte er an ihr vorbei und stand nun vor ihr auf dem Flur.

„Lisa, wer ist da?!“ rief ihr Mann aus der Küche, wo er brav Karotten für das Abendessen schnippelte.

Ronny fischte seine 38er aus dem Hosenbund und legte den linken Zeigefinger an den Mund. „Halt die Fresse, sonst bist du tot, Schlampe!“ zischte er. Dann schnappte er sich Lisa, drückte ihr den Revolver an die Schläfe und schob sie vor sich her in Richtung Küche. In Richtung Norman. Ihr Herz raste. Was sollte sie tun? Konnte sie es riskieren, Norman mit einem Schrei zu warnen? Würde er sie verstehen? Würde Ronny sie sofort erschießen? Noch während ihr tausend Gedanken durch den Kopf jagten, hatten sie die Küche erreicht.

„Wie…wer… wwwwer sind Sie?“ stammelte Norman, der eine Küchenschürze mit dem Aufdruck „Vorsicht! Mann kocht!“ trug.

„Lass das Messer fallen, Buchhalter!“

„Lassen Sie sofort meine Frau los!“ keuchte Norman und machte einen Schritt auf Ronny zu. Ein dummer Fehler. Zwei Sekunden später klebte sein Buchhalter-Hirn auf den Küchenfliesen.

Ronny hatte sie ins Schlafzimmer geschleppt, ihre Hände gefesselt und sie an einen Bettpfosten gebunden. Dann hatte er ihr – fast zärtlich und behutsam – Jeans und Höschen ausgezogen, sich eine halbvolle Flasche Whisky aus der Hausbar geholt, und vor dem Bett auf einen Stuhl gesetzt. Dort starrte er nun auf ihre Scham, nahm tiefe Schlucke aus der Schnapsflasche und leckte sich die Lippen. Als Ronny ein paar Minuten später in sie eindrang, verlor sie das Bewusstsein. Als sie wieder zu sich kam, war sie in diesem stinkenden Verlies angekettet.

Mit einem unangehmen Knarzen drehte sich der Schlüssel im Schloss der alten Kellertür.

„Hallo Miststück! Lust auf einen kleinen Fick?“

Morgen Grande Finale: Was hat es mit der intelligenten Ratte auf sich, wird sich Lisa gegen ihren Peiniger wehren können, gelingt ihr die Flucht aus dem Verlies? Seien Sie gespannt…

Bild: News.at

12 Kommentare zu „Der General, Teil 2“

  1. hmmm … ich werde also im jahr 2258 noch leben … und ich werde mir bis dahin … nicht die zähne putzen … 😳

    egal … hauptsache dem möhrchen schnibbelndem BUCHhalter wird´s HIRN weggeblasen …

    bin auf das brutale ende gespannt … auch wenn ich da für den ungepflegten dicken vergewaltiger nix wirklich angenehmes erwarte … 😉

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  2. Oh, hier jetzt auch Thriller, erstaunlich. Dabei finde ich doch, dass das ganz normale Leben Thriller genug ist. Und wieder einmal bin ich beim Lesen der ersten Zeile froh, schon so viele Jahre meines Lebens erlebt zu haben – ich hoffe, den richtig schlimmen Ausgang erlebe ich nicht mehr.

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  3. Die Ratte aus der Zukunft. Etwas in der Richtung wollte ich auch mal schreiben, nach dem ich gelesen hatte, dass Ratten radioaktive Strahlungen besser überstehen als Menschen. „Rattenkönig“ sollte es heißen, und nun ist es doch eher ein General. Interessant.

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