Hereinspaziert!

Dieser Tage publizierte der werte Kollege kroetor auf seinem Blog einen Beitrag zum Thema Gefahr. Darin erwähnte er, dass er sich selbst gerne dann und wann einen Adrenalinrausch genehmigt, indem er in einer Achterbahn mörderische Loopings dreht, mit einem Bungee-Seil an den Füßen in die Tiefe springt, mit einem Affenzahn auf einem Fahrrad den Berg herunter brettert oder in einem Hochseilgarten herumklettert. Er mag den Nervenkitzel, den kleinen Kick, denn er weiß tief im Inneren, dass an sich nichts passieren kann. Jedenfalls fühle er sich dank Adrenalin und Glückshormonen nach dem Erlebnis ungleich besser.

Kroetors Worte fielen mir ein, als ich unlängst mit meiner Heidi durch den Wiener Prater flanierte. Der berühmte Vergnügungspark mit den umliegenden Wald- und Wiesenflächen blickt auf eine lange und abwechslungsreiche Geschichte zurück. Im Jahr 1766 schenkte Kaiser Josef II. das Areal, welches bis dahin als Jagdrevier nur dem Adel zugänglich war, als Erholungsgebiet seinem Volk. Außerdem genehmigte der gütige Herrscher auch die Errichtung von Gastonomie-Ständen, sodass am Rande des einstigen Jagdreviers schon bald der Vorläufer des heutigen Wurstelpraters entstand. Erste Gasthäuser und Weinschenken eröffneten, Kaffeesieder, Drehorgler und Lebzelter siedelten sich an, Schaukeln und Kegelbahnen folgten. 1895 wurde das Vergnügungsareal „Venedig in Wien“ errichtet, 1897 in dessen Mitte das allseits bekannte Riesenrad. Die feine Gesellschaft fuhr hier mit dem Fiaker aus, Kadetten und Wäschermädel hatten ihr Rendezvous, „Hutschenschleuderer“ und Kuriositätenkabinette wetteiferten um die Gunst des Publikums. Im ausklingenden 19. Jahrhundert, als der Schwarze Kontinent noch in vielen Bereichen eine Terra incognita war und sich zahlreiche Schauergeschichten um dessen Einwohner rankten, wurden im Wiener Prater auch Der Negerkönig von Aschanti und sein Dorf zur Schau gestellt. Wie wilde exotische Tiere, nicht wie Menschen wurden die rund 70 Afrikaner in Baströcken ausgestellt und begafft. Für die Betreiber war das entwürdigende Schauspiel ein gutes Geschäft, denn Zigtausende Wiener wollten die „Menschenfresser“  aus Afrika sehen.

Als Spiegel der Gesellschaft wandelten sich im Lauf der Jahrzehnte und Jahrhunderte auch die Attraktionen und Vergnügungen im Prater. Als Herr Moser noch ein kleiner Moserbub war und an besonderen Feiertagen mit den Eltern in die Welt der Schausteller eintauchen durfte, saß ich jauchzend in einem hölzernen Schwan, der auf Schienen in einem mit Wasser gefüllten Betonbassin seine Runden zog. Oder ich fuhr offenen Mundes mit der Märchengrottenbahn durch ein dunkles Bergwerk, wo Zwerge aus Pappmache mechanisch und unermüdlich ihre kleinen Pappmache-Hämmer schwangen, während im Hintergrund ein schlafendes Pappmache-Schneewittchen in ihrem gläsernen Sarg auf den Prinzen wartete. Und wenn mich hungerte, kaufte mir Mama Fritzi bei einem zerfurchten alten Mann, der mit einer grünen Schürze und einem Holzfass am Wegrand stand, eine Salzgurke.

All das fiel mir ein, als ich mit Heidi nun durch den Wurschtelprater lustwandelte. Den Namen hat der Freizeitpark übrigens vom Hanswurst, der in kleinen Puppentheatern seine Späße trieb, und nicht von den Wiener Würsteln. Vom Prater meiner Kindheit ist nicht viel übrig geblieben. Die alten Salzgurkenmänner wurden durch kleine McDonalds-Läden ersetzt, die friedlichen, kinderfreundlichen Fahrgeschäfte durch monströse, bunt blinkende Schleuderapparaturen. Der Prater 2017 ist zu einem lauten High-Tech-Unternehmen geworden, wo sich Menschen unter Gebrüll und bei penetranter Musik uffta uffta uffta  waghalsigen und halsbrecherischen Geräten ausliefern. Als sich der Wagen einer Achterbahn, die in Wien übrigens Hochschaubahn genannt wird, donnernd und unter wildem Gekreische der Passagiere in eine Steilwandkurve legte, musste ich an den Kollegen kroetor denken. Er weiß ja tief im Inneren, dass ihm nichts passieren kann. Ich teile diese optimistische Gelassenheit nicht, und würde um kein Geld der Welt jemals irgendeine dieser Höllenmaschinen besteigen.

Mein gefährlichstes Praterabenteuer bestand ich übrigens im zarten Alter von etwa 10 Jahren. Im schützenden Arm meines Papas Poldi, der mich wohl zum Mann machen wollte, fuhr ich in das unheimliche Dunkel einer Geisterbahn. Schluchzend ließ ich mich von fluoreszierenden Skeletten und tiefrot-schwarz bemalten Teufelsmasken erschrecken, erhielt dann aber zum Trost von Mama wenigstens rosafarbige, picksüße Zuckerwatte.

Sollten Sie, liebe norddeutsche Leser, demnächst einen Städtetrip in die wundervolle Wienerstadt und einen Besuch des Praters planen, gebe ich Ihnen noch einen Gratistipp auf den Weg: Wenn Sie von den Einheimischen nicht als „Piefke“ enttarnt werden wollen, nennen Sie ein Karussell in der Öffentlichkeit niemals Karussell. In Wien heißt das Ringelspiel (korrekte Aussprache: Ringlgspü).  Und im Gastgarten bestellen Sie bitte kein Pils, sondern einfach a Krügerl (ein 0,5 l Krug helles Bier), und auf keinen Fall eine Weißwein-Schorle (Todsünde!), sondern an weißen Spritzer. Und falls Sie wie der Kollege kroetor zur Gattung der Adrenalin-Junkies gehören, wissen Sie ja tief im Inneren, dass Ihnen eigentlich nichts passieren kann.

17 Kommentare zu „Hereinspaziert!“

  1. Lieber Herr Moser!

    Eines weiß ich ganz genau: da ich mit dem brüllend lärmenden Ufftata etc. nichts anfangen kann, werde ich, so ich einmal nach Wien reisen sollte, in jedem Falle Ihrer Fischfabrik den Vorzug geben. Ich hoffe dann natürlich auf einen ausgiebigen Rundgang unter Ihrer Leitung, gerne auch mit Editha 🙂

    Herzliche Grüße
    Mallybeau

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  2. Herzlichsten Dank für die Tipps ,die für jedermann zu gebrauchen sind.Ich war im Sommer im Prater ,und werde das Spektakel im Winter wieder geniessen.Meine Tochter möchte das nächste Mal im Riesenrad sitzend ,die Stadt Wien bewundern.Ich wünsche ein erholsames Wochenende.Liebe Grüsse

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      1. Lieber Herr Moser, was bitte schön ist ein Lebzeltler? Vielen Dank übrigens für das schöne Wetter, das Sie mir kürzlich geschickt haben. Hat hervorragend geklappt. Mein Besuch aus München war begeistert! 😉 sonnige Grüße aus Vorpommern

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  3. Vielen Dank, jetzt weiß ich das auch. Ja, wir hatten recht schönes Wetter und und nur am letzten Tag etwas Regen ☔, da konnten meine Freundin und ich es uns auf der Couch gemütlich machen und nach Herzenslust tratschen. Die Männer fanden nebenan Platz für ihre wichtigen Männergespräche.

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  4. Als ich zehn war ging es mir so ähnlich. Ich glaube als ich vierzehn war, habe ich mir geschworen, wenn mir jemand Angst machen will, dann brauche ich kein Pappmachee. Wenn mir jemand Angst machen will, dann kriegt er bestenfalls einen Tritt von mir. In der Zwischenzeit hat mir das eine ältere Kusine beigebracht (wofür ich ihr heute noch dankbar bin). Wenn ich mich mit Adrenalin versorgen muss, dann scheue keine Nachrichten. Und wenn mir nach Vergnügen ist, dann lese ich zum Beispiel den Bolg
    “ Herr Moser: Alltägliches und Skurriles aus dem Leben des Abteilungsleiters einer Fischkonservenfabrik.“
    Soweit reicht die Phantasie noch.
    Vielen Dank für die Tipps. Trinken muss man ja immer mal. VG, mick.

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