Der Rohrzauberer

Stolz darf ich Ihnen berichten, dass unser schmuckes Reihenhaus von Kopf bis Fuß, also vom Dach bis zum Keller, ein durch und durch gesundes Kerlchen ist. Da gibt es keine Macken, kein knirschendes Gebälk, keine verzogenen Fußböden oder undichten Fenster – sogar der böse Sturm „Herwart“ letzte Woche konnte ihm nichts anhaben. Lediglich ein kleiner Ausschlag im Küchenbereich, also etwas Schimmel an der Wand, musste Anfang des Jahres  professionell behandelt werden. Die traumatischen Erlebnisse mit den Handwerkern können Sie hier nachlesen. Aber seither herrschte Ruhe im Karton, bis zu jenem Dienstag Ende Oktober.

Schon am Vorabend war mir beim Zähneputzen aufgefallen, dass unser Waschbecken das Mundspülwasser nur widerwillig und zögerlich schluckte. Dramatisch wurde es aber erst, als tags darauf das abgepumpte Abwasser der Waschmaschine nicht mehr ablief, schwallartig immer wieder hochkam und schließlich für eine mittlere Überschwemmung des Badezimmers sorgte. In den Gedärmen unseres Reihenhäuschens herrschte ganz offensichtlich Verstopfung. Während Heidi mit Wischmopp und Tüchern das Bad trockenlegte, stülpte ich mir Einweghandschuhe und Mundschutz über, plünderte die HAUS-Apotheke und rückte mit Gummipömpel „Hector“, einer Drahtbürste, einer leeren Plastikflasche, der chemischen Keule „Rorax“, einer Rohrzange, einer Flasche Essig, 3 Tütchen Backpulver, Natron, zwei Zitronen, einer Handvoll Mentos und Cola Zero an. „Das haben wir gleich, keine Angst mein Junge!“ beruhigte Notfallsanitäter Moser den Patienten und machte sich an die Arbeit, die getan werden musste.

Nachdem ich eine gute Stunde mit allen zur Verfügung stehenden (Haus)mitteln gegen die Verstopfung im Verdauungssystem unseres Häuschens gekämpft hatte, war das Ergebnis nur ein müdes Röcheln und Gurgeln im Waschbecken. Ich nahm meine rote Super-Mario-Mütze ab, wischte mir den Schweiß von der Stirn und übermittelte Heidi die traurige Nachricht: „Da muss ein Profi ran! Ein Internist, ein Universitätsprofessor der Rohrologie, ein Verstopfungskapazunder ersten Ranges.“ Wir zogen Alleswisser Google zu Rate, fütterten ihn mit „Rohr verstopft“ „Abflussreinigung“ „Installateur Notdienste Wien“ und wurden in 0,63 Sekunden mit 282.000 Ergebnissen überfordert. Die ersten 20 Top-Ergebnisse unterzogen wir einer näheren Prüfung, verglichen Preise und Leistung, Anfahrtswege und Kundenbewertungen. Schließlich entschieden wir uns für den Notdienst mit dem wunderschönen, vielversprechenden Namen ROHR ZAUBER.

Der geübte Leser von Herrn Mosers skurrilen Alltagsgeschichten wird nun womöglich einen Bericht erwarten, der die Zunft der Klempner in schiefem Licht erscheinen lässt: Handwerker, die nicht nur drei Stunden, sondern drei Tage zu spät kommen; er wird von rüpelhaften Blaumännern erzählen, die das Haus unter Wasser setzen, mehr Schaden als Nutzen anrichten und dafür eine Summe in Rechnung stellen, für die man auch ein paar Tage an der italienischen Adria urlauben könnte. Am Ende würde Herr Moser in den rauchenden Trümmern seines Reihenhäuschens sitzen und weinend die Stunde verfluchen, in der er den Notdienst rief. Ich muss euch, liebe schadenfrohe Leute, gründlich enttäuschen. Denn es kam alles ganz anders.

Wortreich und in blumigen Bildern schilderte ich der freundlichen Dame am Rohrzauber-Telefon die üblen Verdauungs- und Vestopfungsprobleme unseres tapferen und treuen Reihenhauses. „Helfen Sie ihm! Bitte! Es ist dringend!!“ bettelte ich mit Nachdruck. „Wie ist die Adresse?“ frug das immer noch freundliche Fräulein. Ich buchstabierte ihr die Anschrift und blätterte im Kalender vorsorglich zum Dezember, um den Termin einzutragen. „Gut Herr Moser“, meldete sich die Rohrzauberin kurz darauf, „Wir könnten in einer Stunde bei Ihnen sein. Ist Ihnen das recht?“ Ich war verzückt, ja regelrecht verzaubert. Und gestoppte 61 Minuten später klingelte es tatsächlich an der Tür. Ein Hüne mit Bürstenhaarschnitt und orangem Overall, auf dem das pfiffige Rohr Zauber-Logo prangte, meldete sich lächelnd und mit ausgeprägtem ungarischen Akzent zur Stelle. Mit dabei hatte er jede Menge gefährlich aussehender Maschinen, Apparaturen, Schläuche, biegsame Stahlfedern und eine dicke schwarze Werkzeugtasche. Ich geleitete den Zauberer ins Badezimmer im ersten Stock, schilderte ihm nochmals meine laienhafte Diagnose und legte das Schicksal unseres Waschbeckens vertrauensvoll in seine Hände. Ich darf Ihnen verraten, dass es sich um einen Meister seines Fachs handelte. Bewundernd sah ich ihm zu, wie er mit wenigen Handgriffen den Siphon demontierte und zunächst das kranke Gedärm mittels Schlauch-Videokamera endoskopierte. Es war kein schöner Anblick und ich wandte mich mit Grauen ab. „Möchten Sie vielleicht einen Kaffee?“ bot ich dem Profi an, doch der schüttelte nur den Bürstenschnitt und murmelte in ärgerlichem Ton etwas auf Ungarisch. „Oder lieber Tee, Wasser, Holunderblütensaft? Etwas zu knabbern?“ Wieder erntete ich nur Kopfschütteln und ein paar besorgte, ungarische Brocken. „Alles okay? Wird das wieder? Oder Krebs? Unheilbar?“ Ich war nervös. Der orange Hüne kniete auf allen vieren, sah zu mir hoch und sagte: „Brauche ich Hochdruckreiniger. Hole ich von Auto. Gleich wieder da.“ Zehn Minuten später schleppte er einen Mords-Oschi in den ersten Stock und setzte sein Werk fort. Nach einer knappen halben Stunde war das Waschbecken wieder montiert, der Boden aufgewischt und desinfisziert, und das Wasser rauschte durch den Abfluss wie die Niagarafälle. Ich war fasziniert und begeistert, doch nun stand die alles entscheidende Frage im Raum: Würde uns der flotte und kompetente Einsatz des Rohrzauberers an den Rand des finanziellen Ruins bringen, unsere Zweitwagen-Pläne zerstören? Während der Meister stoisch wie ein oranger Baum seinen Arbeitsbericht ausfüllte, frug ich vorsichtig: „Und wie viel wird Reparatur ausmachen? Kann ich mit Visa zahlen? Gibt es einen Abteilungsleiter-Rabatt?“ „Haben Sie Hausverwaltung hier in Siedlung?“ antwortete der Handwerker. „Ja, natürlich. Warum?“ „Schreiben hier Name Hausverwaltung und Adresse, wir verrechnen direkt. Haben Versicherung, Sie nix zahlen. Gut?“ Er lächelte und legte links oben einen goldenen Zahn frei. „Waaas? Sie meinen, das kostet uns nichts?“ jubilierte ich. „Igen. Hausverwaltung. Versicherung zahlt. Sie nix. Gut?“ „Sogar sehr gut!“ Ich drückte dem Rohrzauberer ein dickes Trinkgeld in die Hand, küsste ihn auf die stoppelige Wange und flüsterte: „Ich danke Ihnen. Sie sind ein Held und ich mache Sie berühmt! Ich habe nämlich einen Blog und werde dort über Ihre Zauberkünste schreiben. Kostenlose Werbung, Sie werden sich vor Aufträgen nicht retten können!“ „Nix schreiben auf Block, bitte hier unterschreiben“, hielt mir mein Held sein Formular hin. Ich gab ihm das gewünschte Autogramm, geleitete ihn zur Tür und wünschte ihm noch ein langes Leben.

Abteilungsleiter Moser empfiehlt: „Sollten Sie ein Abflussproblem haben und in Wien, St. Pölten, Graz oder Linz wohnen – wenden Sie sich getrost an die Rohrzauberer! Pünktlich, flott und kompetent!“ (Unentgeltliche Werbeeinschaltung).

24 Kommentare zu „Der Rohrzauberer“

  1. Lieber Herr Moser!

    Wer weiß, wer weiß. Vielleicht war diese erste flotte zauberhafte Reparatur auch nur so komfortabel und günstig, damit Sie bei einem weiteren Verstopfungsproblem umgehend den lieben Ungarn rufen … und dann werden Sie mit den Ohren schlackern, wenn er Ihnen eine gesalzene Rechnung präsentiert für einmal Badewannenstöpsel erneuern 🙂

    Herzliche Grüße
    Mallybeau

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  2. Na, da hatte Herr Supermario Mosel wohl großes Glück im vermeintlichen Unglück, denn kenne solche Art „Magen- Darmbeschwerden“ im schmucken Reihenhäuschen auch zu gut.😉
    Bei uns musste die Stadt mal, nach Spiegelung des Hauptrohres im Außenbereich, alten Bauschutt aus dem Rohr entfernen, der Ursache für Fast-Verstopfung des Rohrsystems war.
    Liebs Grüßle und weiterhin toi toi toi mit den Handwerkern🌞🍀

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