Schicksalsmelodie

Heute um 8:10 morgens, also in aller Herrgottsfrüh, standen drei junge Rumänen in unserem Wohnzimmer und zupften auf Heidis Uralt-Klampfe sentimentale Volksweisen aus ihrer Heimat. Der jüngste unter ihnen, der mit dem zerschlissenen himmelblauen Wollpullover, begleitete das schwermütige Gitarrenspiel mit rauem Bass (Mmmhhmmm Uuuaah Hmmmm), der dritte Rumäne tippte etwas in sein Smartphone. Als der Gitarrist zwischendurch immer wieder die Stirn runzelte, erläuterte Heidi freundlich: „Sie ist halt ein bisserl verstimmt. Ich hab sie schon mindestens zehn Jahre nicht mehr in der Hand gehabt. Wollen´S an Kaffee?“ Der Musikant hielt inne, klopfte ein wenig auf dem Corpus herum, schlug einen Akkord an und versuchte dann zum dritten Mal, das Ding zu stimmen. Zu dem jungen Kollegen nuschelte er etwas in rumänischem Dialekt, wie ich vermute. Dieser beherrschte als einziger ein paar Brocken Deutsch und übersetzte: „Sagt, Gitarr nix so gut. Hat Spring hinten und scheppat a bissl.“

Nun will ich den geduldigen Leser nicht länger auf die Folter spannen und die bizarre Situation aufklären. Nachdem Heidi vor wenigen Wochen in der Abstellkammer einen heftigen Kampf gegen Staubsauger-Würgeschlauch, Bügelbrett und Billard-Queue verloren hat, entrümpelte sie unseren praktischen Stauraum und bot das „ganze unnötige Klumpert“ (O-Ton Heidi) über diverse Verhökerplattformen zum Verkauf an. So nicht nur meinen alten Snooker-Queue, der seltsamerweise noch immer keinen Käufer gefunden hat, sondern auch ihre alte Konzertgitarre. Auf dem guten Stück hat sie in ihren pickeligen Teenagertagen all die As, Cs, Gs und Es in Moll und Dur gelernt, um ihre treuesten Freundinnen im Kinderzimmer mit den Hits von Smokie und Suzie Quattro zu erfreuen. Die Zeiten sind längst vorbei, und die Gitarre verstaubt seit Jahrzehnten zwischen meiner alten Reiseschreibmaschine und dem Winterdomizil von Hausspinne Günther. Auch auf willhaben.at und Shpock herrschte kein Interesse an Heidis lädiertem Saiteninstrument, obwohl der Preis mit 30,- Euro durchaus moderat war.  Bis heute früh.

Ich genoss meinen ersten Cappuccino und die Strahlen der aufgehenden Sonne, als Heidi auf die Terrasse stürmte und aufgeregt rief: „Die Rumänen kommen!“ „Ein Überfall?“ „Wegen der Gitarre! In einer halben Stunde.“ Und schon war meine liebe Gattin im Bad verschwunden, um ihr schwarzes Indianerhaar zu bändigen und etwas Rouge aufzulegen. Wie ich erfuhr, mussten die Rumänen heute früh um 10:00 zu einer Hochzeit nach Bukarest reisen, um für Brautpaar und Gäste aufzugeigen. Doch leider war ihnen von einem heimtückischen Polen die Gitarre gestohlen worden, und nun waren sie auf der Suche nach günstigem Ersatz. Leider war Heidis Gitarr nix so gut und hatte außerdem einen Spring. Wir wollten die Klampfe aber unbedingt loswerden, schließlich stand die Kundschaft schon in unserem Wohnzimmer. Heidi versuchte es mit einem aggressiven Schleuderpreis, Geiz ist immer noch geil: „Na gut, weil es eine Hochzeit ist, gebe ich Ihnen 50% Rabatt. Um 15,- Euro gehört sie Ihnen!“ „Na, scheppat a bissl“, schüttelte der junge Typ traurig den Kopf und bohrte mit dem Mittelfinger verlegen ein zweites Loch in den Ärmel seines Strickpullovers. Es war ihm sichtlich peinlich, unser sensationelles Angebot ablehnen zu müssen. „Ich lege noch drei Stück Marmorgugelhupf drauf, und einen Snooker-Queue!“ warf Adelheid ihr letztes Gebot in die Schlacht. Die drei Rumänen schnatterten aufgeregt in ihrer Muttersprache und traten den geordneten Rückzug an. „9 Euro 90!“ rief ich ihnen hinterher. „Und ein funktionierendes Dampfbügeleisen!“ Doch die Musikanten schienen es eilig zu haben, ihr Zug nach Bukarest ging um 10 Uhr.

Bei Einbruch der Dunkelheit brauten wir uns den ersten Glühwein des Jahres, dazu gab es flaumigen Marmorgugelhupf. Heidi schnappte sich ihre alte Gitarre, die seit dem Besuch der Rumänen traurig in der Ecke stand, und stimmte Needles and Pins von Smokie an. Als der letzte verstimmte Ton verklungen war, nahm ich einen tiefen Schluck und meinte: „Scheppat a bissl!“

17 Kommentare zu „Schicksalsmelodie“

  1. Lieber Herr Moser!

    Sans net traurig! Eines Tages wird Herr Springsteen unerwartet vor der Haustür stehen und die Gitarre höchstselbst ersteigern. Schließlich gehört zu jedem Topf der passende Deckel und zu jeder Spring der passende Steen 🙂

    Herzliche Grüße ins klingende singende Wien
    Mallybeau

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  2. Bei den steigenden Metallpreisen hätten die Rumänen besser das Dampfbügeleisen genommen und auf dem bukarester Wochenmarkt zu Höchstpreisen verhökert. Mit den erlösten Geld wäre eine jede Band für die Hochzeit zu haben gewesen. Aba, wieda nix ordentlich gedacht …

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