Editha ist ein Star!

Der Stammkundschaft meines kleinen Blogs ist Editha wahrscheinlich bekannt. Der liebenswerte Sonnenschein aus der Ukraine zieht mit ihrem Putzwägelchen seit Jahr und Tag summend und singend durch die Gänge und Büros unserer Fischkonservenmanufaktur und sorgt für staubfreie Regale und durchsichtige Fenster. Die gut integrierte Mittfünfzigerin hat sich ihre Deutschkenntnisse zu großen Teilen über Funk und Fernsehen angeeignet, und genehmigt sich in der Herrentoilette auf unserer Etage gerne mal einen Joint, um ein wenig Schwung und Farbe in ihren grauen Putzalltag zu bringen und der Tristesse des Putzfrauendaseins zu entfliehen. Außer, dass sie mir mal ohne mein Wissen zwei Haschkekse untergejubelt hat, sodass ich an diesem Tag mit Lach- und Heißhungerattacken frühzeitig den Dienst quittieren musste, kann ich nichts Schlechtes über Editha sagen.

Gestern suchte ich nach einer großen Portion von Heidis Thermoskannen-Kaffee das Herrenklo auf. Kaum hatte ich das schwarz-weiß geflieste Stoffwechselörtchen betreten, gellte ein herzzerreißender Schrei aus einer der Kabinen: „Chiiilfeee! Ich bin Star, cholt mich hier raaauuusss!“  Anhand der Stimmlage und des ukrainischen Akzents identifizierte ich die Urheberin als Editha. „Editha??!!“ rief ich besorgt. „Cherr Moser?? Bitte chilfst du, bin versperrt und Tire kapuuttt! Komm ich nix raus!“ „Nur die Ruhe Editha, das haben wir gleich!“ sprach ich der hysterischen Raumpflegerin Mut zu. „Drehen Sie den Riegel an der Tür gegen den Uhrzeigersinn!“ „Uhrzeigersinn???“ rief Editha verwirrt und begann lauthals „Wer chat an die Uhr gedreht, ist es wirklich schon so spät?“ zu singen. Die arme Frau stand offenbar wirklich unter Schock. „Nach links, Editha, nach links drehen!“ „Links, rechts, geht nix. Schloss kaputt! Kein Uhrzeigersinn. Chilfe, Cherr Moser!“ Glücklicherweise hatte ich gestern Abend eine Folge von Criminal Minds gesehen und wusste, wie coole FBI-Agenten in einer solchen Situation agieren. Mit Schwung ließ ich meinen frisch geputzten, schwarzen Herrenhalbschuh gegen die alte Holztür krachen.

Splitternd sprang die Tür auf… und ich blickte in das vor Anstrengung gerötete Gesicht von Dr. Jonas Cerny, der mit heruntergelassener Hose auf der Muschel saß. Seine sonst so riesigen Augen waren hinter den dicken Brillengläsern zu schmalen Schlitzen zusammengepresst.

„Oh Gott, Cerny???“

„Moser!!!!“

Den Anblick meines Kollegen bei der Verrichtung seines großen Geschäftes würde ich ohne professionelle, psychologische Hilfe nie wieder loswerden. Hastig schlug ich die Türe zu und rief: „Edithaaa?“ „Chier“, tönte es aus der Nebenkabine. Auch wenn im Frühjahr unsere alten, hölzernen Toilettenhäuschen gegen moderne, neue Kunststoffkabinen ausgetauscht werden, wollte ich nicht auch noch für die Zerstörung der zweiten Klotür verantwortlich sein. „Warten Sie kurz Editha, ich hole Hilfe!“ beruhigte ich unsere Perle, die inzwischen hemmungslos weinte. Über mein Handy rief ich Hausmeister Willi: „Kommen Sie bitte schnell in die Herrentoilette im ersten Stock, unsere Putzfrau hat sich versehentlich eingeschlossen!“ Wenig später knallte Willi seinen Werkzeugkasten auf die Fliesen vor der verschlossenen Klokabine, grummelte Grrmmpf! und machte sich mit einem Franzosen am Schloss zu schaffen. Es mag auch ein Engländer oder Holländer gewesen sein, ich bei der Nationalität der Schlosser- und Einbruchswerkzeuge nicht besonders firm. Jedenfalls hatte Willi das Problem mit wenigen Handgriffen gelöst, die Tür sprang auf und Editha warf sich unserem Facility Manager an den Hals: „Chausmeister Krause!!! Danke!! Du mir Leben gerättet!“ Hausmeister Krause, der eigentlich Willi Dobernig heißt, schüttelte die Ukrainerin ab, schnappte seinen Werkzeugkasten und verabschiedete sich mit einem knurrenden Grrmmpf. Nebenan rauschte die Klospülung und Cerny trat ins Freie. Er strich sich seufzend über den Bauch, klopfte sich ein paar Schuppen von den Schultern und meinte zu Editha: „Na, Dschungelprüfung abgebrochen? Nicht mal in Ruhe kacken kann man in diesem Haus!“

Die ukrainische Raumpflegerin lehnte noch ganz aufgelöst ihr dauergewelltes Köpfchen an meine starke Schulter. Ich ließ meinen Dudu-Zeigfinger drohend hin und her wackeln, und ermahnte sie künftig zu mehr Vorsicht. Ich war mir nämlich nicht sicher, ob ihre roten Augen vom Heulen oder von einem kleinen Pausen-Joint herrührten. „Ja, Cherr Moser. Ich jetzt immer vorsichtig, muss aufpassen. Bin ja Oma geworden!“ „Sie sind Großmutter? Ich gratuliere, Glückwunsch!“ Editha fummelte ihr Smartphone aus der Kittelschürze und hielt mir das Display unter die Nase: „Das ist meine kleine Katinka, guckst du!!“ Ich sah einen winzigen knallroten Babykopf – wisch! – mit dunklem Haarkranz – wisch! – offenem Mündchen – wisch! – und vor Anstrengung zusammengekniffenen Augen. Irgendwie erinnerte mich die kleine Katinka an den scheißenden Cerny. Ich brauche psychologische Hilfe, eindeutig.

28 Kommentare zu „Editha ist ein Star!“

  1. Ich kann gleich nicht mehr vor Lachen!😂😂😂 „STOFFWECHSELÖRTCHEN“ oder wie schriebst Du? Zu schön und ich kenne niemanden, der so vollendet bildhaft beschreibt, dass mir die Bauchmuskulatur schmerzt.
    Wir sollten wirklich einen Filmproduzenten für diese Storys suchen – die Menschen sollten wieder mehr Anständiges zu sehen bekommen. 😀

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  2. Lieber Herr Moser!

    Nur die Ruhe. In wenigen Minuten wird Ihr Wecker klingeln und kurz darauf wird Sie die gute Heidi nochmals wachrütteln. Sie haben nur schlecht geschlafen und können gleich in aller Seelenruhe in Ihrem tomatenroten Spanier zur Arbeit fahren, wo Sie von allen Mitarbeitern freundlich lächelnd empfangen werden. Alles wird gut 🙂

    Herzliche Grüße vom Psychonotdienst von der Alm
    Mallybeau Freud

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