Sport ist Mord

Wie der geneigte Leser weiß, habe ich meinen kürzlich 60 gewordenen Körper auf Anraten von Heidi einer Generaluntersuchung unterzogen. Es wurde gespiegelt (Magen, Darm, Blutzucker), gemessen (Größe, Gewicht, Blutdruck), gehorcht, geklopft, gestochen, gestöhnt, gehustet, röntgenisiert. Das Ergebnis war zwar nicht berauschend, gab aber auch keinen Anlass zum Jubeln und mein Hausarzt Dr. Wolfi gab mir neben diversen Medikamenten noch einen guten Rat mit auf den Weg: „Mein lieber Herr Moser, das eine oder andere Schnitzel und Glas Wein weniger, hören Sie zu rauchen auf und… (dramaturgische Pause) betreiben Sie ein wenig Sport! Ein paar Kilo abnehmen, ein bisserl regelmäßige Bewegung und Sie werden 100 Jahre alt.“ Die Aussicht auf 40 Jahre Genussverzicht und schweißtreibenden Sport stimmte mich verdrießlich.

Woher kommt eigentlich das Wort „Sport“? Im Englischen gibt es das Wort disport, was so viel bedeutet wie Zerstreuung, Vergnügen (lateinisch deportare: sich vergnügen). Der Sport früherer Jahrhunderte war höheren Gesellschaftsschichten vorbehalten, da sie die Einzigen waren, die die entsprechende Muße dafür hatten. Ich persönlich halte es mit dem britischen Staatsmann Sir Winston Churchill, dem das berühmte Zitat „No sports“ (Sport ist Mord) zugeschrieben wird – seine Antwort auf die Frage, was das Rezept des leidenschaftlichen Zigarrenrauchers und Whiskyliebhabers für ein langes Leben sei. Churchill wurde 91 Jahre alt. Ich würde zwar nicht behaupten, dass Sport gleich Mord ist, aber mindestens so etwas wie fahrlässige Tötung oder Totschlag. Erst gestern berichtete mir Heidi von einem Fußballspiel ihres Neffen Luki, der in der U15 Mannschaft eines niederösterreichischen Vereins kickt. Ergebnis: 1:3 und ebenso viele Verletzte wie Tore: Schlüsselbeinbruch, angeknackster Knöchel, blaues Auge, ausgekegelte Schulter.

Mir wurde der Sport schon in der Schule im Turnunterricht verleidet. Ich hasste den strengen Geruch des Turnsaals nach Schweiß und Leder, die schrille Pfeife des Lehrers, das zackige Antreten in Reih und Glied. Beim Fußball wurde ich regelmäßig als Letzter ins Team „gewählt“, beim Völkerball regelmäßig als Erster mit dem Basketball abgeschossen. Beim Erklimmen der hellgrün lackierten Metallstange, die unüberwindlich und kilometerhoch in den Turnhimmel ragte, scheiterte ich bereits nach 80 cm und musste mich dem spöttischen Gejohle meiner Klassenkollegen aussetzen. Leibesübungen: genügend stand regelmäßig im Zeugnis. Schon das Wort Leibesübungen empfand ich als Hohn, für mich als Schön- und Freigeist ein sintflutliches Relikt aus den Tagen von Turnvater Jahn. Ich hasste Turnen aus tiefstem Herzen.

Dann kam jener schicksalsschwangere Tag, als Susi Möltner vom Turnunterricht befreit war und in ein Buch vertieft gemütlich auf einer Holzpritsche saß (ich besuchte in der Unterstufe des Gymnasiums noch eine sogenannte gemischte Klasse, also mit Mädchen und Buben). „Warum ist Susi vom Turnen befreit?“ frug ich unbedarfter, unaufgeklärter 12- oder 13-jähriger Bengel meinen Freund und Banknachbarn Stefan. „Sie hat ihre Tage“, raunte er mir wissend zu. Darunter konnte ich mir nichts vorstellen. Ihre Tage? Stefan erkannte meine Verwirrung und erklärte: „Sie hat ihre Monatsblutung, ihre Regel halt. Capito?!“ Ich kapierte zwar nichts, sah aber in dieser ominösen Regel einen genialen Entschuldigungsgrund für eine Turnbefreiung. Daheim übte ich stundenlang die ohnehin etwas kindliche Handschrift meiner nichtsahnenden Mama Fritzi. Vor den nächsten Leibesübungen präsentierte ich dem gestrengen Turnprofessor Richter eine handgeschriebene Entschuldigung meiner Mutter:

Mein lieber Sohn Herr Moser kann heute leider nicht am Turnunterricht teilnehmen, weil er seine monatliche Blutung hat. Ich bitte Sie, seine Tage zu entschuldigen, aber so ist die Regel. Hochachtungsvoll Fritzi Moser.

Herrn Professor Richter fiel das silberne Trillerpfeifchen aus dem Mund und er schickte mich schreiend zum Rapport beim Direktor. Er war so aufgebracht, dass ich einige kleine Speicheltröpfchen am linken Auge und auf der Wange abbekam. Am schlimmsten aber war die Aufklärungsstunde bei meinem Vater Poldi, der mich abends in sein Arbeitszimmer zitierte und mir einen Vortrag über Eierstöcke, Eisprung, Samen, Befruchtung und Menstruation hielt. Obwohl ich wiederum kaum etwas verstand, war mir die ganze Sache fürchterlich peinlich und ich schlich nach der biologischen Standpauke mit tiefroten Ohren aus dem Zimmer.

Sie werden verstehen, dass man mein Verhältnis zur körperlichen Ertüchtigung als durchaus gestört bezeichnen kann. Die guten Ratschläge von Dr. Wolfi in allen Ehren, ich mache es mir halt lieber im zitronengelben Liegestuhl bequem und sehe dem Gras beim Wachsen zu, lausche dem Tirili der Vögel und himmle den blauen Himmel an, anstatt joggend oder Gewichte stemmend mein irdisches Ablaufdatum künstlich zu verlängern. So ist die Regel. Hochachtungsvoll, Ihr Herr Moser.

40 Kommentare zu „Sport ist Mord“

  1. Lieber Herr Moser!

    So hat eben jeder seine eigene Regel, auch wenn sie biologisch nicht immer einwandfrei erklärbar ist. Aber durch Ihre intensive Blogtätigkeit betreiben Sie meines Erachtens ausreichend Denksport. Und einen Liegestuhl mit dem kompletten Körpervolumen auszufüllen bedarf schließlich auch einiges an Geschicklichkeit und Körperbeherrschung. Dem werten Herrn Doktor hier eine Entschuldigung zu schreiben, hielte ich für überflüssig 🙂

    Herzliche Grüße und ein entspanntes Wochenende
    Mallybeau

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  2. Ach Herr Moser, man soll es wirklch nicht übertreiben, aber vielleicht wirbeln Sie ihre Heidi mal bei einem kleinen Tänzchen über´s Parkett, das ist auch sehr sportlich. Ansonsten haben Sie eben meine Lachmuskeln trainiert, das ist für mich heute genug des Sports.Vielen Dank dafür.

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  3. Hach, Leibesübungen – da schwingt so viel miefige Verklemmtheit mit. Lauf- und Tummelspiele, wo Nachwuchsuntertanen unter der Aufsicht verhinderter Unteroffiziere sinnlose Dinge tun. Wer dazu kein gestörtes Verhältnis hat, ist bestimmt selbst ein bisschen gestört.

    Als Sport empfehle ich Schach.

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  4. Der Anschiss beim Direktor war die Strafe eines zu früh Geborenen … was aber, wohlgemerkt, keine Art einer Frühgeburt bedeuten muss.
    Einer Conchita W. und ihresgleichen würde man heutzutage die Monatsblutung durchaus abnehmen, ja, wäre geradezu erschreckt, würde diese ausbleiben … 😉

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