Banana Joe

Einer der vielen nicht zu unterschätzenden Vorteile, mit meiner wundervollen Heidi verheiratet zu sein, ist ihr tiefes, von Herzen kommendes Bewusstsein für Umwelt, Gerechtigkeit und Mitmenschen. Ohne das bezaubernde Wesen an meiner Seite würde ich wie ein Hinterwäldler durch die schützenswerte Umwelt stapfen und biologische Fußabdrücke so groß wie Rübezahl hinterlassen; würde als Bücherjunkie meinen Lesestoff bedenkenlos beim internationalen Großdealer Amazon checken und zum Frühstück verzückt die picksüßen, knusprigen Zerealien von Nestlé schaufeln. Doch da ist Heidi davor. Wenn es schon mal ein Buch von Amazon sein muss, dann nur als Download auf meinen Kindle, damit wenigstens kein stinkender LKW durch die Gegend fahren muss, um Herrn Moser 380 Seiten Kriminalspannung ins Reihenhaus zu liefern. Auch für mein geliebtes Maggi erteilte mir Heidi, die den Schweizer Ausbeuterkonzern Nestlé abgrundtief verachtet, schweren Herzens eine Ausnahmegenehmigung. Im Großen und Ganzen jedoch investieren wir unsere schwer verdienten Mäuse lieber in den kleinen, lokalen Handel anstatt in sogenannte Global Player, die dank ihrer Winkeladvokaten und Steuertricks oft weniger Abgaben an den Staat abliefern als beispielsweise unsere brave Einzelunternehmerin und Bäckersfrau Helga Fallnbügel. Außerdem schmeckt so ein handgedrechselter Striezel mit Mandelsplittern aus der Bäckerei Fallnbügel 100 bis 300 Mal besser als ein maschineller Hefezopf aus einer der vielen Industrie-Backstuben des Landes.

Wir waren daher hoch erfreut, als vor wenigen Monaten – der rekordverdächtige Hitzesommer nahm gerade so richtig Fahrt auf – unweit unserer Reihenhaussiedlung am Rande des Kundenparkplatzes und in Rufweite eines Supermarktes und eines Diskonters ein kleiner Obst- und Gemüsestand eröffnete. Unter dem schattenspendenden Schutz zweier bunter Sonnenschirme bot ein vierkantiger Türke mit schwarzem Vollbart und treuherzigen Dackelaugen kistenweise Wassermelonen, Zitronen und Erdäpfel an. Er sah aus wie der türkische Bruder von Bud Spencer, also eine Art Büd Spencer – wir nannten ihn passenderweise Banana Joe und kauften fortan Zwiebeln und Knoblauch in seinem Laden, der sich mittels weißer Schreibschrift auf grünem Metallschild schlicht als „NATUR Gemüse+Obst“ auswies. Banana Joe spricht leidlich gut Deutsch, hat bereits die leicht mieselsüchtige Art der Wiener Eingeborenen angenommen, und verbreitet mit seinem ramponierten Kassettenrecorder orientalisches Flair auf dem sonst recht langweiligen Parkplatz. Innerhalb weniger Wochen haben wir eine semiprofessionelle Freundschaft aufgebaut, die bei jedem Einkauf gewissen Ritualen folgt. Das kann man sich etwa so vorstellen:

„Guten Morgen, Herr Moser!“ „Guten Morgen, Herr Banana! Wie geht´s?“ „Wie die anderen wollen.“ „Der Erdogan hat schon wieder ein paar Journalisten eingesperrt…“ „Is Aschloch Erdogan.“ (Joe ist anders als viele seiner Landsleute gottlob kein Fan des türkischen Despoten). Nachdem wir das Thema Außenpolitik also ausführlich besprochen haben, wende ich mich der Innenpolitik zu: „Die Regierung kürzt wieder bei Ausländern, Frauen und Behinderten. Reiche zahlen dafür weniger Steuern.“ „Is Aschloch Regierung.“ Soviel zur Tagespolitik. Danach kommen wir zum geschäftlichen Teil und ich bestelle ein halbes Kilo weiße Weintrauben, kernlos, aber die guten. Herr Banana legt ein knappes Kilo auf die Waage, nickt und reicht mir die Papiertüte: „Is gute Weintrauben. Frische Paprika hamma. Gesund, Vitamin C. Ein Kilo?“ „Nein, drei Stück zum Füllen. Heidi mag keine gefüllten Paprika.“ Die Geschäftstüchtigkeit liegt den Türken im Blüt und mit sechs großen Paprikaschoten im Handgepäck zücke ich meine Geldbörse: „Wieviel?“ Um dem Gemüsehändler mit Bud-Spencer-Hintergrund einen Hauch von Heimat und Basar zu vermitteln, folgen wir einem eingespielten Feilsch-Ritual. Banana Joe streckt mir seine erdige Pranke hin und verlangt beispielsweise 4 Euro 80. Ich reiße entsetzt die Augen auf, recke die Arme zum Himmel und jammere: „Hadschihalefomarbenhadschi abulabasibnhadschidavudalgossarah!!“ Das ist der volle Name von Hadschi Halef Omar aus den Karl May-Romanen, den ich als 12-jähriger auswendig gelernt habe und der mit heute noch beim Handeln am Basar gute Dienste leistet. „Ich habe vier hungrige Mäuler zu stopfen – drei halbwüchsige Töchter und eine Heidi! Willst du mich ausrauben, mich ruinieren, du elender Dieb?! Ich gebe dir zwei Piaster und keinen Sou mehr, du Halsabschneider!“ Wir einigen uns schließlich auf drei Euro, ich drücke Joe einen Fünfer in die Hand und sage: „Stimmt so! Bis nächste Woche, Herr Banana.“ „Servus Hadschi!“

Entsprechend groß war das Entsetzen, als wir uns Anfang dieser Woche auf der Suche nach einem dekorativen Halloween-Kürbis für den Vorgarten dem Natur-Stand von Joe näherten und feststellen mussten: Geschlossen!! Die grünen Plastik-Obststeigen stapelten sich leer und nutzlos vor dem Laden, keine Tafel, die mit krakeliger Kreideschrift das Angebot von Tag verkündete. Kein Büd Spencer weit und breit. „Es hat sich für ihn wohl nicht gerechnet, die Konkurrenz der Konzerne rundherum war zu groß. Banana Joe ist pleite, Allah sei seiner Seele gnüdig!“ verkündete ich angemessen traurig und streichelte meiner umweltbewussten Heidi zärtlich übers Haar, das wie das Gefieder junger schwarzer Raben in der Herbstsonne glänzte. „Wir hätten auch unsere Sellerie bei Joe kaufen sollen“, schluchzte meine Frau verzweifelt. „Das hätte ihn auch nicht gerettet liebste Heidi“, gab ich zu bedenken. „Wir mögen beide keine Sellerie.“ „Oder wenigstens Schnittlauch!“ Meine patriotische Kämpferin war gebrochen und voller Selbstvorwürfe. „Wir haben den kleinen, tapferen Mann in den Ruin getrieben und die milliardenschweren Lebensmittelkonzerne werden mit unserem sauer verdienten Geld immer reicher.“

Tags darauf nahm ich Banana Joes Natur-Stand nochmals näher unter die Lupe. Vielleicht gab es ja einen Hinweis auf den Verbleib des braven Osmanen. Ich spähte durch die Auslage – und tatsächlich stand dahinter seine Angebotstafel, auf der in ungelenken Großbuchstaben zu lesen war: WIR HABEN AUS HOCHZEIT GRÜNDEN BIS MO 29. OKT. GESCHLOSEN. DANKE! GURKEN  1 STK 0,99,-

Erleichtert stürmte ich nach Hause, riss Heidi aus ihren trüben Gedanken, schloss sie in die Arme und verkündete Joes Rückkehr: „Der hinterlistige Ziegenbock hat geheiratet und sitzt jetzt mit seiner 400köpfigen Familie in einem Istanbuler Hinterhof und grillt eine Herde Hammel! Am Montag ist er wieder da! Lasset uns singen, tanzen und springen!“ Wir schworen uns, in Zukunft mehr Sellerie zu essen und den Vorgarten in diesem Jahr mit mindestens 25 Kürbissen zu schmücken. Welcome home, Banana Joe!

23 Kommentare zu „Banana Joe“

  1. Lieber Herr Moser!

    Ich hätte jetzt vermutet, dass der gute Joe ab Montag bei Ihnen in der Fischfabrik als Rausschmeisser eine Stellung angenommen hat. Wer Bud Spencer so ähnlich ist, kann nun doch nicht plötzlich mit einer Hochzeit aus der Reihe tanzen. 🙂
    Gut, dass der Link zum Beitrag jetzt funktioniert hat. Der ist anfänglich sicher auf einer Bananenschale ausgerutscht.

    Herzliche Grüße und einen schönen Feiertag
    Mallybeau 🙂

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  2. So einen Banana Joe haben wir auch bei uns im Dorf und er hat das frischeste Obst und Gemüse weit und breit. Mir würde auch was fehlen, wenn es ihn nicht mehr gäbe.
    Wieder eine tolle Geschichte, liebe Grüße an deine wundervolle Heidi,
    Sigrid

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  3. Lieber Moser, es ist lehrreich zu erfahren, wie orentalisch gehandelt wird. Ich nehme mir also vor, beim nächsten Besuch im Supermarkt, die Kassiererin als Diebin und Halsabschneiderin zu betiteln. Vorausgesetzt meine holde Elisabeth ist nicht dabei, sonst muss ich noch auf dem Sofa schlafen oder schlimmeres 😉 Im Übrigen finde ich die Preise von Büd sehr angemessen, schließlich ist so eine türkische Hochzeit kein finanzieller Ponyhof .. Meine besten Gemüsewünsche sollen Sie stets begleiten!

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