Marathon

Die anstrengenden Osterferien, geprägt von Gartenarbeit, einem verregneten Kurzurlaub und einem familiären Gelage, sind vorüber. Der Arbeitsalltag hat mich wieder, und so fuhr ich heute Morgen bei dichtem Schneetreiben knapp über dem Gefrierpunkt in meine berufliche Heimat – die Fischkonservenfabrik. Im Büro erwartete mich ein äußerst selbstzufrieden grinsender Cerny: „Hallo Herr Moser, da sind wir also wieder! Zurück im guten alten Bergwerk. Osterfeiertage gut überstanden?“ „Danke der Nachfrage lieber Doktor Cerny“, erwiderte ich. „Wir haben es uns in den Tiroler Alpen gut gehen lassen, tolles Hotel mit Schwimmbad und Sauna. Famos!“ Dass es fast durchgängig regnete und wir ein DZ/Du in einer rustikalen Familienpension (ohne Pool und Wellness) belegt hatten, verschwieg ich geflissentlich. Cerny muss nicht alles wissen, schon gar nicht über unser Privatleben. Höflich fragte ich nach: „Und Sie? Ich habe gehört, Sie waren am elterlichen Bauernhof?“ „Ja, herrliche Gegend. Ideal zum Trainieren!“ Ich wurde hellhörig: „Trainieren? Was trainieren Sie denn, wenn ich fragen darf?“ „Am kommenden Wochenende findet der Vienna City Marathon statt!“ verkündete mein Kollege. „Ach, Sie meinen diese Veranstaltung, wo wieder die halbe Stadt für den Autoverkehr gesperrt ist und tausende Möchtegern-Nurmis drei Äthiopern und zwei Kenianern hinterher rennen?“ frug ich rhetorisch und achselzuckend.

Wie sich in meiner Blog-Gefolgschaft sicherlich schon herumgesprochen hat, zählt Herr Moser nicht zu den Sportskanonen dieser Welt. Selbst das moderate Nordic-Walking-Programm, das uns Heidi auferlegt hat, konnte ich bisher erfolgreich schwänzen. Sie wissen schon: Wetter, Wolkenbruch, Urlaub im Westen, Familienfeiern und dergleichen höhere Gewalt mehr. Cerny ignorierte mein Desinteresse am Marathonlauf und mit stolzgeschwellter Brust platzte es aus ihm heraus: „Ich habe acht Monate lang trainiert, ich bin fit und werde zum ersten Mal am City Marathon teilnehmen!!“ Ich schraubte den Deckel meiner Thermoskanne ab und meinte kopfschüttelnd: „Weil vor 2.500 Jahren im alten Griechenland ein Bote von Marathon nach Athen gelaufen ist, um den Sieg einer Schlacht gegen die Perser zu verkünden und anschließend tot umfiel, rennen Sie 42 km nonstop durch die Stadt? Die menschliche Vernunft kann hier nicht der Antrieb sein, also warum?“

„Sie dürfen das nicht so pragmatisch sehen, werter Moser“, ereiferte sich Cerny und schnipste ein paar Schuppen von den Schultern seines Sakkos. „Es ist einfach ein erhebendes Gefühl, sich zu überwinden, ein Ziel zu erreichen. Der Geist triumphiert über den Körper. Man fühlt sich groß, rein…“ „Sie fühlen sich nach 42 Kilometern Schinderei groß und rein?“ unterbrach ich ihn, „Also quasi wie ein gewaschener Elefant?“ Cerny blickte mich stirnrunzelnd an: „Ich meine seelisch, diese Glücksgefühle!“ „Sie meinen die Glücksgefühle, wenn die Läufer wie angeschossene Giraffen ins Ziel stolpern, zusammenbrechen und ihre Elektrolyt-Getränke erbrechen? Diese Glücksgefühle?“ „Sie haben ja keine Ahnung, Moser. Und ein bisschen Sport würde Ihnen auch ganz gut tun“ meinte er mit einem verächtlichen Blick auf mein geringfügiges Wohlstandsbäuchlein. „Ich werde mir das historische Ereignis daheim im Fernsehen anschauen“, gab ich zurück. „Vielleicht entdecke ich Sie ja irgendwo zwischen den 45.000 Verrückten.“

Am Nachmittag fiel der Lift aus und ich musste vier Stockwerke zu Fuß bewältigen, um in Direktor Pfotenhauers Büro zu gelangen. Oben angekommen pfiff ich aus allen Löchern und meine Oberschenkel schmerzten. „Vielleicht sollte ich doch etwas für meine Kondition tun“, dachte ich für eine Sekunde. Dann sah ich aus dem Fenster, wo heftige Sturmböen Schnee- und Graupelschauer vor sich hertrieben. „Aber es soll einfach nicht sein“, murmelte ich. „Ich würde ja wollen, aber bei dem Wetter?“

24 Kommentare zu „Marathon“

  1. Lieber Herr Moser!
    Ich glaube ja, dass der Marathon von geizigen Chefs ins Leben gerufen wurde, die ihre Belegschaft regelmäßig zu diesen Massenaufläufen treiben. So wollen sie vermeiden, den großen Firmenkomplex mit teuren Aufzügen ausstatten zu müssen.
    Schätzen Sie sich glücklich, dass es bei Ihnen noch nicht so weit gekommen ist 🙂
    Herzliche Grüße aus dem Aprilwetter
    Mallybeau

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  2. Ich habe ja nichts gegen Sport und betreibe ihn auch, aber Marathon? Alleine der Gedanke lässt mich erzittern.
    Ein wenig Fitness, Herr Moser, wäre vielleicht doch nicht zu verachten?

    LG aus dem winterlichen Brandenburg,
    Anna-Lena

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  3. Wer regelmäßig „moserschreibt“ liest lebt gesünder!🖒👏
    Ja, es ist so einfach, wie es klingt. Durchs Lachen verbrennt man laut einer US-Studie tatsächlich Kalorien. Wer täglich zehn bis 15 Minuten lacht, verbraucht demnach 10 bis 40 Prozent mehr Kalorien am Tag als sonst. Allerdings: Das Lachen muss echt sein, ein gekünsteltes Lächeln reicht nicht. Aufs Jahr gerechnet können wir so allein durchs Lachen durchschnittlich zwei Kilogramm Gewicht verlieren. Kein Witz.

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  4. ja, die Mosergeschichten sind wirkliche Trainingseinheiten für unsere Lachmuskel. Ich bewundere immer die Menschen bei uns die jeden Berg ohne E-Bike hochstrampeln. Das muss den Glücksgefühlen eines Marathons gleichkommen.

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      1. Ach, warten Sie nur ab bis Montag. Denn wieviel der gute Cerny trainiert haben mag – er wird einen irrsinnigen mörderischen Muskelkater haben. Sie können sie auf genüssliches Kichern über einen stöhnenden Lackaffen einstellen.

        Aber bitte seien Sie so gut und teilen Sie Ihr Glück auch mit uns. Das will ich unbedingt lesen, wie der Cerny jammert 😉

        Voller Vorfreude
        Agnes

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