Das Wort zum Sonntag

Um 8:36 durchbrach die Sonne die dichte Wolkendecke und schickte die ersten wärmenden UV-Strahlen in den Moser´schen Kleingarten. Darauf hatte ich nur gewartet. Flugs setzte ich meine Kapitänsmütze auf und hisste unser neues, monströses 4-Meter-Sonnensegel. Sofort wurde die Terrasse in kühles, schattiges Dunkel getaucht. Ich war hingerissen. Entspannt schlürfte ich den Milchschaum vom Cappuccino und genoss die sonntägliche Morgenruhe. Über mir wölbte sich das dunkelgrüne Stoff-Firmament des neuerworbenen Sonnenschirmes.

Plötzlich sprengte das überdimensional laute und schrille Organ von Frau Weinwurm die Stille. Die Gattin unseres Siedlungsblockwartes h.c. hatte in ihrem Vorgarten schräg gegenüber Stellung bezogen und sich auf ein längeres Handy-Telefonat mit einer gewissen „Miriam“ eingerichtet. Offenbar hat Hilde Weinwurm keine Geheimnisse vor der Nachbarschaft, denn ungeniert berichtete sie in voller Lautstärke vom schmerzhaften Fersensporn an ihrem linken Fuß. Ob ich wollte oder nicht, musste ich mir alle peinsamen Details über Injektionen in die Ferse anhören. Selbst die zwitschernden Vögel verstummten und lauschten. Ohne mir dessen bewusst zu sein, begann ich nach dem mir bisher unbekannten „Fersensporn“ zu googeln. Kaum hatte ich mich beim Netdoktor kundig gemacht, wechselte Nachbarin Hilde ansatzlos das Thema. „Wos kochstn heite, Schatzi?“ vernahm ich durch die Hecke, die zwar ausreichend Sicht-, aber keinen Schallschutz bot. „Aaah, guad! I moch Stapüz (Wienerisch für Steinpilze – Anm.). Vielleicht in ana Rahmsooß oder i tuas panieren. I waß no et.“ Ich gab „Steinpilz Rezepte“ in Google ein. Kaum hatte ich mich in das Pilzthema eingearbeitet, ließ die gesprächige Frau Weinwurm mich und die gesamte Siedlung wissen, dass sie noch keinen Plan hätten, wohin die diesjährige Urlaubsreise gehen solle. Auf keinen Fall ein muslimisches Land, wegen „eh scho wissen“. Es geschähe ja so viel heutzutage, und sie habe keine Lust, als zerfetztes Bombenopfer auf einem Marktplatz in Kairo zu enden. Mallorca? Nein, nicht schon wieder. Vor zwei Jahren hat sich ihr Mann Walter auf dem Ballermann derartig mit Sangria niedergebügelt, dass er im Hotelzimmer in die Duschtasse gekotzt habe. Schau schau, der stets ordentliche Herr Ex-Polizist. Sie würde ja lieber mehr in den Norden, wegen der Hitze im Süden. Sie habe eine lästige Sonnenallergie. Und keine Städtereise, wegen des Fersensporns, der mache ihr bei längeren Fußmärschen doch sehr zu schaffen. Als Hilde Weinwurm anschließend ihre Ansichten zu herrschenden politischen Lage in Österreich kundtat, und dabei Sympathien für die ausländerfeindliche, rechtspopulistische FPÖ durchblitzen ließ, ergriff ich die Flucht und verbrachte den Vormittag in der göttlichen Stille unseres Wohnzimmers.

Ehe Heidi die köstlichen Sonntagsschnitzel auftischt, wollten wir noch rasch dem Grab unseres verblichenen Sonnenschirmes einen Besuch abstatten. Auf dem Weg zum Müllcontainer lief uns Hilde Weinwurm über den Weg. „Grüß Sie Frau Nachbarin!“ grüßte ich unsere geschwätzige Nachbarin. „Wie waren die Steinpilze? Rahmsauce oder gebacken?“ Misstrauisch kniff sie ein Auge zu und meinte zögerlich: „Ich hab´s paniert. Aber woher…“ „Ich hätte da einen Super-Urlaubstipp für Sie“, unterbrach ich Frau Weinwurm. „Guatemala! Ein Traum! Nicht zu heiß, fast nicht schwül, ideal für Sonnenallergiker. Wenig Alkohol, Sangria nur vereinzelt. Aber wenn, dann bitte unbedingt mit Eiswürfeln genießen. Und eine Besichtigung der Maya-Pyramiden lässt jeden Fersensporn sofort heilen. Ich wünsche noch einen schönen, ruhigen Sonntag!“

20 Kommentare zu „Das Wort zum Sonntag“

  1. Mein Beileid, sorry, Mitleid. Wie ich selbst diese kreischenden Telefonieren hasse. Einmal saßen wir romantisch-idyllisch in einem Café am Bodensee, Ruhe und Schönheit atmend trotz der Touristen, bis neben uns eine Dame in ihr Handy zu brüllen begann. 10 Minuten ließ sie sich über die Zubereitung von Flammkuchen in Baden-Württemberg aus, die sie offenbar falsch verstanden hatte, bis ich mich hinüberlehnte und laut ins Telefon die richtige Mischung von Schmand, Zwiebeln und Speck referrierte.
    Danach wurd’s leiser 🙂
    Mit Dank und besten (ruhigen) Sonntagswünschen!

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  2. Lieber Herr Moser!
    Hoffentlich geht der Schuss nicht nach hinten los und die werte Frau Weinwurm beäugt Sie nun argwöhnisch ob Ihres unglaublichen Wissens über ihr Leben. Möglicherweise hält sie Sie nun für einen Spion oder gar ausländischen Terroristen. Aber was sie wirklich über Sie denkt, werden Sie sicherlich spätestens dann erfahren, wenn die gute Frau Weinwurm wieder telefonierend im Garten sitzt und ihrer Freundin das Neueste über ihren seltsamen Nachbarn Moser erzählt 🙂
    Herzliche Grüße und guten Appetit
    Mallybeau

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  3. Ich habe herzlich gelacht beim Lesen deines Beitrags! So eine Frau Weinwurm habe ich auch in unmittelbarer Nachbarschaft. Meine telefoniert gerne nachts im Freien stundenlang in einer Lautstärke, dass ich bequem vom Bett aus zuhören kann.
    Liebe Grüße
    Sigrid

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  4. … mit einer Frau Weinwurm, da weiß man wenigstens, was man hat … die elende, dumme Geheimniskrämerei hat ein End‘. Und wenn man mal nicht weiß, was man kochen soll, einfach Augen und Ohren aufsperren …

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