Schneckentempo

Ihr überaus liebenswerter Herr Moser hat viele, zum Teil noch unentdeckte Talente, Geschwindigkeit ist leider keines davon. Ich kann mit dieser sinnlosen Hetzerei nichts anfangen, ich lebe in einer Welt der getragenen Gelassenheit und genussvollen Langsamkeit. Schon beim Anblick des Wortes Fast Food bekomme ich Herzrasen. Mein aus dem Wienerischen stammendes Credo lautet „Nur net hudeln!“ (frei übersetzt bedeutet es „Nur nicht hetzen“ oder „Nur keine falsche Hektik aufkommen lassen“). Dies geht sogar so weit, dass ich das Haus 10 Minuten vor Heidi verlasse, um zeitgleich mit ihr am Parkplatz anzukommen. Tage wie diese, wo die Hitze in jede Pore der Großstadt dringt und sich jeder Atemzug anfühlt, als würde man flüssiges Blei trinken, wirken sich auch deutlich auf mein Tempo aus.

Gestern Nachmittag hatte es 34° im Schatten (ich nenne es Handicap 34), und ich verließ das unklimatisierte Büro eine Stunde früher, da mein T-Shirt mit dem Aufdruck I survived Guatemala bereits völlig durchgeschwitzt war und das Beinkleid wie ein nasser Lappen an mir klebte. Zu Hause empfing mich mein geliebtes Adelheidchen mit den Worten: „Moser, die Milch ist ausgegangen! Sei so gut, und hol rasch einen Liter aus der Bäckerei.“ Im Vertrauen gesagt: Heidi ist kaffeesüchtig und trinkt selbst bei diesen unmenschlichen Temperaturen gut und gerne vier bis fünf Tassen des heißen Gebräues. Pro Tag. Allerdings findet sie ihn ohne Milch ungenießbar und ohne Kaffee wird Heidi ungenießbar. Als treusorgender Ehemann seufzte ich vernehmlich leidend, schlüpfte in ein frisches Shirt und in meine kurze Hose, und rüstete mich mit festen Sandalen für den 120-Meter-Fußmarsch zur Bäckerei Fallnbügl. Kurz vor Verlassen des Hauses wickelte ich mir aus einem nassen Handtuch noch rasch einen Turban.

Jeder noch so lange Weg beginnt mit dem ersten Schritt, wusste ich von Konfuzius oder einem anderen asiatischen Schriftgelehrten, und quälte mich wie ein geprügelter Hund durch die flirrende Siedlungsluft Richtung Bäckerei. Aus wahrer Liebe erwachsen dem Menschen oft ungeahnte Fähigkeiten. Nach gefühlten 20 Minuten wähnte ich mich bereits am Ziel, und jubelte. Doch das in der Hitze flimmernde Portal der Bäckerei erwies sich bei näherer Betrachtung als Fata Morgana. Durch den Flüssigkeitsverlust war meine Hose ein Stück nach unten gerutscht, und ich stellte den Gürtel ein Loch enger. Und irgendwann torkelte ich völlig dehydriert in die Bäckerei, und ließ mich an dem kleinen Tischchen nieder, das Frau Fallnbügel für ihre Kaffeekundschaft bereit hält. „Jessas, Herr Moser!“ rief die Ladenbesitzerin und deutete auf meinen Handtuchturban. „Wos is passiert?!! Kopfschuss?!!!“ Ich krächzte nur „Verdunstungskälte“ und „1 Liter Kärntner Milch bitte.“ Die gute Frau brachte mir nicht nur den begehrten Kuhtrunk, sondern noch ein Glas kühles Wasser, das ich mir sofort ins Gesicht schüttete. Den Durst löschte ich mit ein paar tiefen Schlucken aus der Milchpackung. Nach einer Viertelstunde Rast machte ich mich gestärkt auf den Heimweg.

Just als ich um die Ecke bog und unser Haus bereits in Rufweite war, vibrierte meine kurze Hose. Heidi schrieb per WhatsApp: „Moser, wo bleibst du??? Der Kaffee wird kalt! Bist du unverletzt?“ „Bin im Landeanflug. In spätestens 10 min bin ich da. Mfg“ Daheim riss ich mir den Turban vom Kopf und warf Heidi die Milch zu. Geschickt fing sie Packung auf und schüttelte sie ungläubig: „Das ist aber nicht dein Ernst! Du brauchst eine Stunde, um Milch aus der Bäckerei zu holen und bringst eine fast leere Tüte mit?!!“ Mein geflüstertes „Wegzehrung!“ ließ sie als Entschuldigung nicht gelten. „Gottseidank bist du nicht Briefträger (Österr. f. Postbote) geworden.“ Undank ist der Welt Lohn.

P.S.: Nun habe ich auch verstanden, warum mir meine vielgereiste Schwiegermutter Inge von ihrem letzten Städtetrip aus Köln ausgerechnet eine Schnecke (Foto siehe oben) mitgebracht hat.

28 Kommentare zu „Schneckentempo“

  1. Lieber Herr Moser!
    Da hätte Ihre liebe Adelheid wohl besser die reizende Gartenschnecke von Schwiegermutter Inge zum Milch holen geschickt. Das wäre vermutlich schneller und ohne Flüssigkeitsverlust über die Bühne gegangen. Naja, Hauptsache Sie haben keinen Kopfschuss erlitten 🙂
    Herzliche Grüße aus der Hitze
    Mallybeau

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  2. Gott sei Dank ist die Milch bei diesem langen Marsch nicht vergangen. Stellen Sie sich die Qualen im Magen vor. Dagegen wär Montezumas Rache ein Spierzgang im Frühling mit anschließendem Picknick gewesen

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  3. es wird seine gründe haben … dass man(n) geschwindigkeit „dosieren“ kann …

    TEMPO ist flexibel … und das … ist auch GUT so … 😎

    bei den temperaturen … denke ich sogar langsamer … 😳

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