Schlagwort-Archive: Tomaten

Das Paradeiserparadies

Ich schätze den schottisch-britischen Autor Robert Louis Stevenson nicht nur wegen seines Jugendbuch-Klassikers „Die Schatzinsel“, er hat der Nachwelt auch einige kluge Aphorismen hinterlassen, wobei ich besonders Müßiggehen verlangt ein starkes Selbstbewusstsein hervorheben möchte.  Wie der intime Kenner des Moser´schen Reihenhaus- und Fischkonservenfabrikslebens vielleicht schon mitbekommen hat, bin ich ein bekennender Verfechter des Müßiggangs. Es vermag daher nicht wirklich zu überraschen, dass ich die auf diesem Blog angekündigte Urlaubssperre über die Maßen in die Länge gezogen und wegen des großen Erfolges bis zum heutigen Tag (22. August, im Übrigen der Tag des Fisches) prolongiert habe. Natürlich war das süße Nichtstun auch der rekordverdächtigen Hitzewelle geschuldet, die mein Abteilungsleiterhirn im eigenen Sud köchelte und in fataler, totaler Antriebslosigkeit mündete. Eigennützig stellte ich mein Wohlbefinden über Leserbindung und Blogpflege, stellte meine Füße in einen Kübel mit kaltem Wasser und vertiefte mich in das Werk des dänischen Philosophen Sören Kierkegaard, anstatt die hungrige Leserschaft mit erbaulichen Beiträgen zu füttern. Heute Morgen jedoch konterkarierte mein geliebtes Weib Heidi den wunderbaren Robert L. Stevenson mit einem banalen deutschen Sprichwort: „Der Müßiggang bringt Schand´ und Not – der Fleiß hingegen Ehr´ und Brot! Moser, es wird Zeit wieder an deine Leser zu denken. Hau in die Tasten!“ Verzweifelt suchte ich nach einer griffigen Ausrede, nahm zwei große Bissen von der Nutella-Semmel, um Zeit zu gewinnen, beklagte mein gedünstetes Gehirn und den Mangel an Themen, an Einfällen, täuschte sogar einen Schwächeanfall vor, da mich vor vier Tagen eine Wespe in den Nacken gestochen hatte…. doch die konsequente Frau Moser ließ keinen Einwand gelten. Also erzähle ich Ihnen – wenn auch noch etwas widerwillig, da ich lieber im Schatten des grünen Sonnenschirmmonsters Kaffee schlürfen und Löcher in die flirrende Luft starren würde – eine kleine Tomatengeschichte.

Während also in den letzten Wochen ein brüllend heißer Zuwarmi über die halbe Welt fegte, vom Polarkreis über Griechenland bis Kalifornien verbrannte Erde hinterließ, und die Bauernschaft über existenzbedrohende Ernteausfälle klagen musste, blieb unser kleines Reihenhausparadies von Dürre und Missernten verschont. Nicht zuletzt dank Heidis aufopfernder Pflege und Intensivbewässerung blüht und gedeiht unser Garten in sattem Grün, gesprenkelt von den roten und orangen Farbtupfern der Cocktailtomaten. Obwohl wir im Frühjahr die Aussaat der Tomatenpflanzen aufgrund des überüppigen Ertrages in den Vorjahren drastisch reduziert, ja nahezu halbiert hatten, fällt die Ernte überdurchschnittlich gut aus. Nahezu täglich ziehe ich mit nacktem Oberkörper und Strohhut hinaus zum Hochbeet und befülle Schüssel um Schüssel mit den Miniversionen des Nachtschattengewächses, während mir der Schweiß tränengleich über die sonnengegerbten Wangen rinnt und ich die alten Baumwollpflückerlieder unserer Vorfahren summe. Einen Großteil der Ernte verschenken wir mit besten Grüßen an Schwiegermutter Inge, Freunde und die halbe Belegschaft der Fischkonservenmanufaktur, dennoch bleiben uns reichlich Paradeiser für Suppen, Saucen, Schäumchen, Sugo und Sonstiges. Wir Österreicher nennen die Tomate ja poetisch Paradeiser, was von Paradiesapfel abgeleitet wird. Bei den Italienern heißt es pomodoro, also Goldapfel. Die Tomate tauchte erst im 19. Jahrhundert auf und leitet sich von xitomatl aus der Aztekensprache Nahuati ab. Doch egal wie man sie nennt, uns staubt das säuerlich-süße Gemüse schon aus den Ohren. Heidi hat bereits alle Rezepte mit Paradeisern aus dem Internet durchgekocht, sie als Marmelade eingekocht, mit Senfkörnern in Essig eingelegt und sogar Ketchup selbst gemacht.

In den letzten zwei Wochen hatten wir ein Auge auf das Häuschen von Frau Vogelsang, da sie sich eine Mittelmeerkreuzfahrt gönnte. Auf ihre Bitte hin entfernten wir Reklame-Wurfsendungen von ihrer Haustür, sahen nach dem Rechten und gossen die Rosen im Vorgarten. Soweit so gut. Gestern Abend, ich saß mit Heidi eben bei Tomatengelee mit Mozarella und Basilikum, klingelte Frau Vogelsang und bedankte sich überschwänglich für unsere Nachbarschaftsdienste. „Nichts zu danken, Frau Vogelsang. Haben wir doch gern gemacht“, wehrte ich bescheiden ab. „Nein, nein, das ist heutzutage nicht selbstverständlich!“ meinte die liebe Dame und drückte mir als „kleines Dankeschön“ einen riesigen, hübsch geflochtenen und schätzungsweise 5 kg schweren Korb in die Hand. Neugierig lupfte ich das Tuch… und erblickte kiloweise Cocktailtomaten. Mich überfiel ein leiser Brechreiz. „Aus dem Garten, lassen Sie es sich schmecken!“ zwinkerte mir Frau Vogelsang zu und verschwand in der Abenddämmerung.

Heute werden wir nach Sonnenuntergang einen Cocktailtomatencocktail auf der Terrasse genießen. Bei dieser Gelegenheit werde ich für ein Paradeiser-Anbauverbot im nächsten Jahr plädieren.