Träumereien am Eis

Ich verstehe nicht, warum Frauen ständig etwas „machen“ müssen. Zumindest meine Adelheid will immer etwas unternehmen, offenbar ist ihr Faul-auf-der-Couch-lümmel-Gen stark unterentwickelt. „Vor dem Rathaus hat wieder der Eistraum eröffnet!“ jubelte sie und malte romantische Bilder von verliebten Pärchen, die Händchen haltend im Walzertakt über das Eis gleiten. Und das alles vor der beeindruckenden Kulisse des Wiener Rathauses, das in ein buntes Lichtermeer getaucht ist. „Heidi“, sagte ich, „wir bezahlen eine hübsche Stange Geld für unser Reihenhaus. Wollen wir nicht einfach mal ein bisschen davon abwohnen?“ Ihr Blick verfinsterte sich. „Außerdem habe ich ein gestörtes Verhältnis zu Wintersport, es ist viel zu kalt und ich kann gar nicht eislaufen!“ Heidis Zornesfalte zwischen den Augenbrauen war nun deutlich ausgeprägt. „Und ich kaufe mir deswegen sicher keine teuren Schlittschuhe. Also müsste ich mir welche ausleihen. Im Klartext: Meine Füße in versifften, stinkenden, gebrauchten Schuhen, wo schon hunderte Schweißfüße drin steckten. Niemals!“ Adelheids Mundwinkel zeigten steil nach unten.

Gestern Abend liefen wir beim Eistraum Schlittschuh. Genauer gesagt: Heidi zog ihre eleganten Bahnen, während ich an der Bande gelehnt mühsam versuchte, das Gleichgewicht zu halten und nach Erkältungssymptomen googelte. Meine Nase tropfte und ich fror. Da mir Google keinen Grund lieferte, das Vorhaben vorzeitig abzubrechen, ließ ich meinen Blick auf der Suche nach Heidi über die Eisfläche schweifen. Und dann sah ich sie. Frau Moser stand etwas abseits und plauderte ungeniert mit einem fremden Mann. Der Kerl trug eine windschnittige Sportjacke Marke Wolfskin, einen Drei-Tage-Bart und das leicht angegraute Haar fast schulterlang. Die beiden lachten, und die alte Möchtegern-Ausgabe von Gil Ofarim gab meiner Frau sogar einen kleinen Klaps auf die Schulter. Ganz so, als würden sie sich schon ewig kennen. Was bildete sich der Casanova bloß ein? Sollte ich zu den zwei Turteltäubchen rübergleiten, um klarzustellen, wer hier der Hengst im Stall ist? Und vor allem: Wie sollte ich es bewerkstelligen, ohne dabei auf den Arsch zu fallen? Mitten in diesen Überlegungen sah ich, dass sich Heidi umdrehte und in meine Richtung zeigte. Rasch hielt ich mir das Handy ans kalte Ohr und tat so, als wäre ich in ein vertrauliches Gespräch vertieft. Ich lachte laut und amüsiert auf, blickte dazwischen verträumt in den Winterhimmel und sagte dabei Schillers Gedicht „Die Bürgschaft“ auf.

Später auf der Heimfahrt herrschte trotz lautem Heizungsgebläse eisiges Schweigen. Schließlich fasste ich mir ein Herz und frug: „Und? Wer war dieser Althippie, mit dem du dich so königlich unterhalten hast? Ein Freund? Ich hab ihn nämlich noch nie gesehen!“ Heidi schmunzelte: „Ach, deswegen benimmt sich der Herr Moser so seltsam?! Aber zu deiner Beruhigung: Das war Felix, mein Arbeitskollege aus der Computerfirma, wo ich in den 90ern gearbeitet habe. Er hat mich erkannt und angesprochen!“ „So, so. Er hat dich also nach 30 Jahren sofort wieder erkannt. Interessant.“ Pause. Dann drehte Adelheid den Spieß um: „Und? Mit wem hast du telefoniert? Das war sicher nicht der Pfotenhauer, weil du hast gestrahlt wie ein Honigkuchenpferd.“

Bei der nächsten roten Ampel beugte ich mich zu meiner beifahrenden Frau und drückte ihr einen Kuss auf die kalte Wange. „Es war gar niemand am Telefon. Ich hab nur so getan als ob.“ Wir brachen in wärmendes Gelächter aus. Es ist wahrlich beruhigend, dass wir nicht eifersüchtig sind. Vertrauen ist die Basis jeder guten Ehe.

16 Kommentare zu „Träumereien am Eis“

  1. Ist ja wieder so richtig schön und auch sehr amüsant zu lesen! 😀
    Bei uns ist mein Mann der extrem aktive Teil und ich lasse mich aber sehr gerne von ihm mitreißen, was ich auch selten bereue weil es mir ja doch gut tut am End.
    Liebs Grüßle

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