Närrisches Treiben

Ich gestehe: Ihr Herr Moser ist ein Faschingsmuffel. All die Narren unter euch, die Karnevalsjecken, Funkenmariechen, Büttenredner, Papierschlangenwerfer und Alaaf-Rufer werden mich steinigen (bitte links anstellen, jeder nur einen Stein), aber ich kann mit dieser professionell aufgesetzten Heiterkeit nichts anfangen. Dem Datum geschuldeter Humor und gute Laune auf Kommando sind meine Sache nicht. Die sogenannte „fünfte Jahreszeit“ ist in Wien ja gottlob weit weniger stark ausgeprägt, als in manchen Karnevalshochburgen Deutschlands, dennoch muss ich einmal pro Jahr das Faschingsgrauen über mich ergehen lassen. Der Betriebsrat unserer Fischkonservenfabrik hat nämlich beschlossen, dass auch die Belegschaft ein Recht auf ausgelassene Fröhlichkeit hat – und so ist es seit geraumer Zeit Sitte und Tradition in unserem ansonsten höchst seriösen Betrieb, am Faschingsdienstag die Arbeit ein wenig schleifen zu lassen und kostümiert zum Dienst zu erscheinen.

Die Wahl der Verkleidung bereitet mir regelmäßig Kopfzerbrechen, da ich stinkende, juckende, heiße Ganzkörper-Kostüme à la Gorilla verabscheue, unter engen Latex-Kopfmasken Platzangst bekomme und mich grell geschminkt ungern zum Horst mache. Doch diesmal hatte ich eine göttliche Eingebung: Simpel und effektiv würde ich mich in meinen Bürokollegen Dr. Jonas Cerny verwandeln! Dazu erwarb ich in einem Laden für Scherzartikel eine dieser runden Plastikbrillen, welche die Augen stark vergrößern, scheitelte mein Haar streng nach Cerny-Art und schlüpfte in ein schwarzes Wollsakko. Um die Illusion perfekt zu machen, imitierte ich den obligatorischen Schuppenteppich auf seinen Schultern mit einer Mischung aus Puderzucker und Kokosflocken.

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Dermaßen adjustiert betrat ich am Faschingsdienstag um 9:10 das Büro, ließ mich in den Drehstuhl plumpsen und schmetterte in treffendem Cerny-Tonfall: „Alles fit im Schritt? Alles Roger in Kambodscha?!!“ Sie mögen mich nun für politisch unkorrekt halten, da es sich nicht geziemt, sich über andere Leute lustig zu machen, aber sein ungläubiger Blick mit offener Kinnlade war es mir wert! Da stand er in roten Gummistiefeln mit seinem lächerlichen strampelanzugblauen Superman-Kostüm und brachte kein Wort heraus. Hätte er tatsächlich über Superkräfte verfügt, wäre ich nur noch ein Häufchen Asche. Hitzeblick, Sie verstehen. Kichernd nippte ich an meinem Coffee to go aus Heidis Thermoskanne. Ich ahnte aber noch nicht, dass dies bereits der lustigste Moment des Tages war.

Der Vormittag verstrich unlustig und ereignislos, ehe wir uns um 13 Uhr im Aufenthaltsraum versammelten, wo Direktor Pfotenhauer mit einer kleinen Rede das Buffet eröffnen sollte. Hungrig schlichen Dutzende Indianer, Clowns, Hexen, Johnny-Depp-Piraten, Robin Hoods, Wikinger, Prinzessinnen und ein Superman um Heringssalat, Krapfen und Kartoffelchips, ehe der Big Boss mit knapp 20-minütiger Verspätung auftauchte. Er hatte sich seiner beruflichen Position entsprechend als Präsident der USA verkleidet. Auf dem Kopf trug er eine aschblonde Perücke, mit viel Haarspray zur präsidialen Vogelnest-Frisur gestylt, eine knallrote Krawatte baumelte bis über seinen Hosenschlitz, sein Teint glänzte nach einer großzügigen Portion Selbstbräunungscreme orange-bräunlich. Begleitet wurde er von seiner First Lady Svetlana. Sie stöckelte wasserstoffblond in einem tief dekolletierten weißen Kleid einher, die Lippen zu einem roten Herzmund geschminkt, auf der Wange ein schwarzer Schönheitspunkt. Die slowakische Marilyn Monroe verströmte eine intensive Chanel No. 5 Note.

Trumpenhauer klopfte mit einer Kuchengabel auf sein Sektglas und erhob die Stimme: „Geschätzte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, liebe Freunde! Ehe wir uns in das närrische Treiben stürzen, möchte ich Sie von einer kleinen Neuerung in Kenntnis setzen:  Meine Gattin Svetlana wird ab 2. Mai die Leitung der neu zu gründenden Marketingabteilung übernehmen! Heißen wir sie mit einem Applaus herzlich willkommen!“ Der Direktor patschte in seine Wurstfinger und blickte dabei anerkennend auf seine Marilyn. Diese spitzte die Lippen, warf ein Kusshändchen in die Belegschaft und hauchte: „Bububididuuu!“ Der Applaus blieb spärlich, also sprach Mag. Pfotenhauer die erlösenden Worte: „Das Buffet ist eröffnet!“

Ich war wie vom Donner gerührt. Die Frau des Direktors als Marketingleiterin? Soviel ich weiß, hatte die gebürtige Slowakin überteuerte Souvenirs an Touristen in Bratislava verkauft, ehe sie die Angel nach dem dicken Goldfisch Pfotenhauer auswarf. Die hat doch keine Ahnung von Werbung und Marketing! Jetzt hatte ich also noch ein Mitglied der Direktoren-Sippe vor der Nase sitzen. Bevor ich gedanklich alle drohenden Horror-Szenarien entwickeln konnte, raunte neben mir unsere ukrainische Putzfrau Editha, die im Nebenberuf als betriebsinterne Spionin für mich tätig ist und sich heute unschuldig als Pippi Langstrumpf ausgab: „Das viiieel Arbeit fir mich!“ Dabei rieb sie vielsagend Daumen und Zeigefinger aneinander.

Ich flüchtete zum Buffet, wo bereits Superman-Cerny seinen Teller mit Kartoffelsalat und Schinkenröllchen belud, und kippte ein Glas Bier auf Ex. In diesem Moment näherte sich das Präsidentenpaar und Marilyn streckte meinem Kollegen die Hand zum Gruß entgegen: „Ich grüße Sie, lieber Dr. Cerny! Ich freue mich auf gute Zusammenarbeit!“ Dann sah sie mich an, klimperte mit den dicken, falschen Wimpern und sagte zu Cerny: „Oh, ich wusste gar nicht, dass Sie einen Bruder haben! Zwillinge?“ Ohne eine Antwort abzuwarten reichte sie mir die Hand und frug unverschämterweise: „Arbeiten Sie auch hier?“ Just in diesem Augenblick forderte das zu rasch getrunkene Bier seinen Tribut, die Kohlensäure musste sich Luft machen und ehe ich mich als Moser zu erkennen geben konnte, entfleuchte mir ein tiefer, herzhafter Rülpser. Ooaaarrghhh!

Das erste Tor zum Vorhof der Hölle hatte sich soeben aufgetan.

26 Kommentare zu „Närrisches Treiben“

  1. Lieber Herr Moser in der Hölle!
    Dass in den Chefsesseln immer die Unwissenden und nun auch eine Svetlana sitzen, ist ja nichts Neues. Vielmehr beruhigt mich aber die Tatsache, dass Sie nicht für einen Faschingskrapfen gehalten und verspeist wurden. Mit Puderzucker und Kokosflocken auf den Schultern kann es schließlich leicht zu Verwechslungen kommen 🙂
    Herzliche Grüße von der guten alten Erde
    Mallybeau

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  2. Wir sind als Düsseldorfer zwar waschechte Rheinländer, trotzdem haben wir mit Karneval nicht viel am Hut. Deshalb haben wir die „tollen“ Tage in Holland an der Nordsee verbracht.
    Liebe Grüße, Achim

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  3. Sehr lustig zu lesen, aber der arme Herr Moser! Hoffentlich greift das nicht um sich, seine familiären Anhängsel „gut“ unterzubringen. Was in der Politik gang und gäbe ist, muss nicht auch noch in der Wirtschaft einreißen.

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