Tumulte

Heute Vormittag hatte das Direktorenpaar Erwin und Svetlana Pfotenhauer zur offiziellen Verkündung der Guatemala-Reise in Besprechungsraum 2 geladen. Offenbar hatte die frischgebackene Marketingleiterin einen Powerpoint-Blitzkurs absolviert, denn nach den einleitenden Worten ihres Gemahls („Wie es sich vielleicht schon herumgesprochen hat, werden wir…blabla“) startete sie auf ihrem Laptop eine Präsentation, die jeder Reisebüroassistentin zur Ehre gereicht hätte. Untermalt von lateinamerikanischen Klängen überblendeten unter Einsatz sämtlicher verfügbarer Effekte touristisch wertvolle Fotos von Indio-Märkten, Maya-Pyramiden und bunter Flora. Dazu erzählte Lana über Land und Leute, und informierte uns über das geplante Reiseprogramm. Langeweile würde mit Sicherheit keine aufkommen, denn dicht an dicht reihte sich ein Programmpunkt an den nächsten. Als Frau Pfotenhauer ihren Vortrag beendet hatte, brandete sogar Applaus auf. Die rund 20 auserwählten Personen, die an dem Incentive teilnehmen dürfen, schienen voller Vorfreude und plapperten aufgeregt durcheinander. „Gibt es noch Fragen?“ frug Svetlana in die Runde und klappte ihren Laptop zu.

Mir brannte ein Anliegen auf der Seele und ich meldete mich zu Wort: „Herrschaften! Ich schlage vor, dass wir bereits jetzt im Vorfeld der Reise eine verbindliche Vereinbarung für den Fall eines Flugzeugabsturzes treffen! Sollten wir im Dickicht des Dschungels eine Bruchlandung hinlegen und als verschollen gelten, wird es unter den Überlebenden unweigerlich zur Nahrungsmittelknappheit kommen. Bitte legen wir hier und heute fest, dass wir uns selbst in dieser Notsituation nicht gegenseitig aufessen! Wer ist meiner Meinung? Ich bitte um Handzeichen!“ In Besprechungsraum 2 herrschte betroffenes Schweigen, ehe Marketingdirektrice Lana das Wort ergriff: „Malen Sie nicht den Teufel an die Wand, Herr Moser! Ich bitte Sie, was soll das jetzt!?“ Unbeirrt fuhr ich fort: „Denken wir an den Fall der Kannibalen von Flug 571. Das Flugzeug einer Rugby-Mannschaft stürzte 1972 in den Anden ab, die Überlebenden haben ihre toten Kollegen verspeist. Das möchte ich nicht!“ Nun schaltete sich auch Direktor Mag. Erwin Pfotenhauer ein und versuchte, der Unruhe im Kreis unserer kleinen Guatemala-Gemeinschaft Herr zu werden. Frau Rotenhorst aus der Lohnbuchhaltung störte die Veranstaltung durch Schluchzen und trompetendes Schnäuzen. „Das ist nichts persönliches, Herr Direktor, aber ich würde keinen Bissen aus ihrer starken Schulter runterbringen! Und ich selbst will unter keinen Umständen angeknabbert werden! Heidi wäre außer sich, wenn sie einen filetierten Moser zurückbekommt.“ Plötzlich ließ sich Cerny aus der letzten Reihe vernehmen: „Also mich könnt ihr gern fressen, wenn ich tot bin. Wenn es euch hilft, ich spür dann ja eh nix mehr!“ Typisch für diesen Angeber. Spielt sich wieder mal als Held und Retter in der Not auf, um vor den anderen gut dazustehen. Zwei Controller und Produktionsleiter Novotny spendeten zögerlichen Beifall, Helga Rotenhorst spuckte hinter vorgehaltener Hand ein verächtliches „Pfui!!“ aus. Ich verspürte auch nicht die geringste Lust auf Spareribs à la Cerny und rief: „Sehen Sie, wie wichtig die Klärung dieser Frage ist! Selbst hier, in den sicheren Mauern unserer geliebten Fischkonservenfabrik, herrscht schon Uneinigkeit, ob wir Dr. Cerny verspeisen wollen oder nicht!“ Direktor Pfotenhauers Kopf nahm die Farbe unseres spanischen Flitzers an und er bat mich, unverzüglich Platz zu nehmen und den Mund zu halten.

„Wollen Sie diese lebenswichtige Abstimmung lieber zwischen Wrackteilen, blutrünstigen Insekten und Schlangen abhalten?“ gab ich empört zurück. „Da ist doch bei all dem Chaos und Blut kein vernünftiges Ergebnis zu erwarten.“ Die Diskussion unter den Reiseteilnehmern wurde immer heftiger und lauter, wurde immer emotionaler und zum Teil mit irrationalen Argumenten geführt. Lohnbuchhalterin Rotenhorst beschuldigte mich sogar, mit meinen kranken Horrorfantasien allen Mitarbeitern die Vorfreude auf diese tolle Reise verdorben zu haben. Unglaublich. Um unsere Schreiduelle zu übertönen und die aufgewühlten Gemüter ein wenig zu beruhigen, startete Svetlana nochmals ihre Powerpoint-Präsentation mit lateinamerikanischer Musik und bunten Bildern. Doch das schien niemanden mehr zu interessieren.

Um es kurz zu machen: Die Zusammenkunft war kurz davor, völlig aus dem Ruder zu laufen. Doch ich hatte in Vorbereitung auf das Meeting kleine Stimmzettel ausgedruckt: Ich bin damit einverstanden, im Falle eines Flugzeugabsturzes mein Fleisch und das meiner Mitarbeiter zum Verzehr freizugeben o JA  o NEIN  und rief nun laut: „Geheime Abstimmung!“. Schweigend und machtlos sah unser leitendes Direktorenpaar zu, wie ich wieder Disziplin in den kopflosen Haufen brachte und eine demokratische Wahl über Wohl und Wehe unserer Reisegemeinschaft abhielt. Ich hatte die Situation wieder mal gerettet. Ohne mein Zutun könnte man in dieser Firma nicht mal friedlich miteinander abstürzen.

Das Ergebnis der Abstimmung war ein einziger Triumph für mich: 3 Ja-Stimmen, 12 Nein und 5 Stimmenthaltungen. Wir können beruhigt nach Guatemala fliegen, ohne Angst haben zu müssen, dass wir uns gegenseitig auffressen.

16 Kommentare zu „Tumulte“

  1. Lieber Herr Moser!

    Ich hätte jetzt gedacht, dass Sie die Runde mit Ihren Horrorfantasien so weit bringen würden, dass die Reise ganz abgesagt wird. Naja, immerhin werden Sie nicht Hunger leiden und sind gleich noch einen ungeliebten Kollegen los, wenn sich der werte Herr Cerny so großmütig opfert. 🙂

    Herzliche Grüße und ein schönes Frühlingswochenende in Wien
    Mallybeau

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      1. Wie unsensibel von mir. Ich bitte vielmals um Entschuldigung und steure gerne ein Fläschchen Sonnencreme für den Abenteuertrip bei 🙂

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  2. Also Herr Moser!
    Ich hätte sie wirklich als kleinen Spielverderber aus dem Raum verwiesen:-)) Diese schöne Reise, unter einen so schlechten Stern zu stellen! Eine Lösung gäbe es natürlich, nehmen sie doch genügend Fischkonserven mit ins Handgepäck, so könnten sie alle wohl genährt ein paar Tage überleben! Also, keine Sorge Herr Moser, wir brauchen ihre Geschichten noch 👍🏽. Dann freuen sie sich mal auf dieses Abenteuer 😀

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  3. 😂😂😂 ich hätte die Gesichter sehen wollen, als sie mit der Frage kamen…. ich musste laut lachen. Trotzdem…. nicht, dass ich den Teufel an die Wand malen will..
    Sie und ich wissen doch von der Geschichte her, was solche Abstimmungen taugen…
    Vielleicht hilft eine Ritterrüstung 🙃

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  4. „… störte die Veranstaltung durch Schluchzen und trompetendes Schnäuzen. „Das ist nichts persönliches, Herr Direktor, aber ich würde keinen Bissen aus ihrer starken Schulter runterbringen! “ – brüll!

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