Lebst du noch…?

Nachdem ich im Baumarkt schon beim Kauf der richtigen Werkzeuge gescheitert und zur bitteren Einsicht gekommen bin, dass die Heimwerkerei nicht zu meinen angeborenen Talenten gehört, trat Plan B in Kraft: Onkel Ludwig, der geschickte Familienbastler, sollte ein funktionales Regal für unseren Geräteschuppen zimmern. Leider beschied uns der sonst so hilfsbereite Onkel telefonisch, dass er derzeit in Kärnten zur Kur weilt. Der verdammte Rücken. Und da meine liebe Adelheid das Regalproblem noch vor den Weihnachtsfeiertagen gelöst haben wollte, trat Plan C in Kraft. Plan C war ein alter Schwede namens Ingvar Kamprad, der einst am elterlichen Bauernhof Elmtaryd im kleinen Dörfchen Agunnaryd lebte und mit Selbstbaumöbeln ein Vermögen verdiente.

Im Gegensatz zu mir liebt Heidi IKEA. Ein Ausflug ins blau-gelbe Einrichtungsparadies lässt ihr Herz stets frohlocken und selbst wenn wir nach einer Stunde Autofahrt und vier Stunden Gedränge in den diversen Hallen und Stockwerken nur mit zwei Säcken Teelichtern und plastikverschweißtem Räucherlachs heimkehren, ist Frau Moser in einem für mich nicht nachvollziehbaren emotionalen Ausnahmezustand des höchsten Glückes. Der Wunsch nach einem Regal für unseren Schuppen war ihr also willkommener Anlass, den verhängnisvollen Satz „Am Samstag fahren wir zu IKEA“ auszusprechen. Worte, die bei mir ähnliche Angstzustände auslösen wie ihr „Moser, wir müssen reden!“. Beides verheißt keinesfalls etwas Gutes.

Halb Wien hatte an diesem vernieselten Herbsttag dieselbe Idee: Wochenende und Weihnachten in Rufweite, hurra! Wir fahren zu IKEA! Der riesige Parkplatz war voll belegt, als wir gegen 11:30 eintrafen. Sogar Heidis Zauberkräfte, stets eine freie Parklücke vorzufinden, schienen diesmal zu versagen. Als wir 45 Minuten später endlich den Konsumtempel betraten, bat ich Heidi inbrünstig, mich im Kinderparadies abzugeben. Die Aussicht auf tausende bunte Bälle und unbekümmerten Spaß im betreuten Märchenwald schien mir verlockender als das Getümmel zwischen Sofas und Lampenschirmen. „Nein, nein“, blieb meine Gattin hart. „Nach einer halben Stunde hast du Hunger oder musst aufs Klo. Ich höre schon die Durchsage Der kleine Moser möchte von seiner Heidi im Spieleparadies abgeholt werden! Kommt nicht in Frage.“ Bei Einbruch der Dunkelheit verstauten wir das Regalsystem IVAR (1 Element/Böden/Schubladen/Kiefer/grau), nebst zwei Säcken Teelichtern, einer Packung Räucherlachs (LAX Kallrökt) und jeder Menge Weihnachtsdeko, im Wagen. Heidis Augen leuchteten als sie verkündete: „159,- Euro! Ein Schnäppchen!“ Ich schnappte nach Luft und klemmte mir eine Packung Papiertaschentücher unter die verschwitzten Achseln.

Den Sonntagnachmittag verbrachte ich anstatt auf der Couch im Geräteschuppen beim Versuch,  IVAR zusammenzubauen. Schließlich taumelte ich mit blutenden Händen zurück ins Wohnzimmer, das Heidi zwischenzeitlich in warmes Kerzenlicht getaucht hatte. Überall glitzerten Sterne, Engel und kleine Jesukinder. Während Frau Moser die Schnittwunden an meinen Fingern verarztete, schenkte sie mir ein fürsorgliches Lächeln und frug unter Anspielung auf den IKEA-Werbespruch: „Lebst du noch? Oder wohnst du schon?“

Ich verfluchte Ingvar Kamprad und gestand, dass IVAR unter der Last von Heidis selbstgemachter Marmelade eingestürzt war. Es fehlen nämlich zwei Schrauben. „Kein Problem“, meinte Heidi. „Das werden wir reklamieren. Wir fahren einfach nächste Woche wieder zu IKEA.“

16 Kommentare zu „Lebst du noch…?“

  1. Haha, hach, diese mir so nah und liebste Mosergattin ❤
    Unter uns, neulich in HH ( 130km entfernt von mir), kaufte ich 8 Teller. Ein Schnäppchen sag ich, acht Teller zum Preis von regulär zwei Teller- Flotte Tasche für den Preis von einem Teller dazugekauft und vier weitere Stunden glücklich, dank Schnäppchen durch die Stadt 😀 😀 Haha, da ticken se wirklich FAST alle gleich 😀
    PS, ich hätte da noch ein paar Pflaster. Mit Dinosaurier. Übriggeblieben von neulich, bei Ikea….

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  2. Neben den Palatschinken und den Benzinpreisen führte auch der IKEA uns in meiner Kindheit und Jugend immer zu unseren lieben österreichischen Nachbarn. Gerne an deutschen Feiertagen, um mit einem freundlichen „Piefkes!“ begrüßt zu werden. Meistens brachten wir dann nur seltsame Bambusstäbe heim. Auch uns blieb das Bällebad leider verwehrt. Den IKEA vermiss ich nicht, aber, hach, Österreich schon irgendwie 😉

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  3. Genau die richtige Feierabendlektüre Herr Moser👍 Gut, dass meine beste aller Hälften mir mit seinen zwei rechten Händen alle technischen und baulichen Aufgaben erledigt und ich nicht zu IKEA muss. Das Grauen hat 4 Buchstaben fängt mit I (wie bezeichnend) und endet mit einer Papageienart.
    Ich werde meinem Liebsten jetzt eine Danksagung für 12 Jahre Ikeaverschonung schreiben😎

    Einen schönen Abend allseits..

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  4. Ich teile Deine IKEA-Abneigung. Und so wirkliche „Schnäppchen“ sind die Einkäufe dort nie.
    Aber ich erinnere mich noch an die Zeit vor 20 und mehr Jahren, als der IKEA-Katalog der einzige Werbekatalog war, den ich angefasst habe und ich mit sehnsüchtigen Blicken die tollen Wohnweltenbilder durchgeblättert habe. Die Zeiten sind nun aber schon lange lange vorbei…
    Wieviel Kilogramm Teelichter habt Ihr eigentlich schon? Da braucht Ihr doch bestimmt bald einen neuen Schrank dafür 😉

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  5. Sehr schön, musste ordentlich lachen: „Als wir 45 Minuten später endlich den Konsumtempel betraten, bat ich Heidi inbrünstig, mich im Kinderparadies abzugeben.“ Danke!

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