Kassetten-Requiem

Die ganze Situation hatte etwas Entwürdigendes. Benjamin, der elfjährige Sohn der Kalteneggers, saß an unserem schon etwas in die Jahre gekommenen PC, der sich in den letzten Wochen etwas eigenwillig benommen hatte (Altersstarrsinn??), und hatte den Auftrag, das alte Vehikel wieder auf Vordermann zu bringen. Was der kleine Benjamin da im Detail veranstaltete, entzieht sich meiner Kenntnis. Er tippte kryptische Befehle in die Tastatur, nippte an Heidis heißem Kakao, lud irgendwelche Programme aus dem Internet und lächelte zwischendurch wissend. Ich hatte ihm versprochen, ihm für seine Dienste ein Gedicht zum Geburtstag seiner Mutter zu schreiben. „Da muss noch mehr Schmalz rein, mehr Liebe und Lametta! Verstehn Sie? Ich will zu Weihnachten ein neues Smartphone, also strengen Sie sich gefälligst an!“ pöbelte der junge Computerexperte, als ich ihm den ersten Entwurf vorlegte. Ich seufzte und drückte nochmal ordentlich auf die Schmalztube. Schließlich war ich auf das technische Know How des elfjährigen Bengels angewiesen.

Für jede Generation kommt irgendwann der Moment, wo sie bei einem technologischen Fortschritt der Welt einfach nicht mehr mitmacht. Gut, ich bin vielleicht noch etwas jung für den Ausstieg aus dem gesellschaftlich-technologischen Fortschritt, aber ich war ohnehin nie so ein technologischer Typ. Schon in jungen Jahren bin ich von der Wissenschaft bitter enttäuscht worden. Damals hatte ich zum ersten Mal von den Pawlow´schen Experimenten gehört, wobei mich speziell der Bereich der Traumsuggestion faszinierte. Man hört während des Schlafens irgendwelche Kassetten, und am nächsten Tag ist alles Gehörte fest im Gehirn implementiert. Mein erster Versuch, mir diesen Umstand zunutze zu machen und ein angebetetes Mädchen in mich zu verlieben, schlug fehl – das können Sie in meinem Beitrag „Wie im Schlaf“ vom 1. November gerne nachlesen. Trotzdem blieb ich seinerzeit hartnäckig und startete einen zweiten Angriff auf das Unterbewusste.

Ich besprach auf meinem Kassettenrecorder ein Band mit folgendem Inhalt: „Unser braver Sohn braucht ganz dringend eine supergute Stereoanlage zu Weihnachten! Mit Plattenwechsler und großen Lautsprechern. Gleich morgen gehen wir los und kaufen dem kleinen Moser so ein Ding, jawoll!“ Das wiederholte ich 30 Minuten lang. Dann stellte ich meinen Wecker auf 2 Uhr früh, schlich ins Schlafzimmer meiner Eltern und versteckte den Kassettenrecorder unter ihrem Bett. Ein genialer Plan, wie mir schien.

Zu Weihnachten brachte mir das Christkind Karl Mays Winnetou I-III, einen Chemiebaukasten und einen grässlich wolligen Winterpullover mit gestrickten Schneeflocken. Erst viel später fand ich heraus, dass mein Vater den Recorder schon in der ersten Nacht entdeckt und seinerseits eine Kassette für seine Zwecke besprochen hatte. Das war der Moment wo mir klar wurde, warum ausgerechnet Autowaschen in meiner gesamten Jugend mein allerliebstes Hobby gewesen war. Nach diesem Erlebnis habe ich mich von der Wissenschaft abgewandt. Die Gefahren wurden einfach unkontrollierbar.

11 Kommentare zu „Kassetten-Requiem“

  1. Ein kleiner Bua, der sich mehr Lametta gewünscht hat? Ist der mit Loriot verwandt? Der scheint gar nicht so modern zu sein, wie er tut…

    Sie sind uns noch schuldig, was sich der Vater auf den Cassettenrecorder geredet hat? Was waren das für Sonderwünsche… an die Ehegattin vielleicht?

    Liebe Grüße und weiter so! 😎
    Christian

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  2. nunja so oder so
    haben se doch garnich so schlecht
    “ abgebissen “
    an diesem weihnachtstag
    ich hätte mich in den wollpullover eingekuschelt und mir vom ronnyherrchen was vorlesen lassen aus den indianerbüchern
    gruß bella 🙂
    .
    p.s. :
    es gibt garkeinen weihnachtsmann und auch kein christkind
    ich weiß das
    denn für fragwürdige gestalten hab ich ne nase 🙂
    und ich krich schließlich alle postboten
    ( auch die flüchtenden kicher kicher )

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